Und dennoch ist es Liebe
einen Fremden. Ich bekam einen Kloß im Hals, und ich wusste sofort, was das bedeutete: Ich war tatsächlich noch immer nicht bereit, Mutter zu sein. Ja, ich könnte ihn lieben, doch ich hatte erwartet, mich noch einen weiteren Monat darauf vorbereiten zu können. Ich brauchte mehr Zeit. Und Zeit war das Einzige, was ich nicht hatte. »Du solltest wissen«, flüsterte ich, »dass ich nicht sonderlich gut darin bin – glaube ich jedenfalls.« Max legte seine winzige Faust auf mein Herz. »Ja, du hast gewonnen«, sagte ich zu ihm. »Ich habe mehr Angst vor dir als du vor mir.«
*
Zu den Dienstleistungen, die frischgebackenen Müttern im Birgham-Krankenhaus angeboten wurden, gehörte auch, dass das Baby den ganzen Tag über bei der Mutter bleiben konnte, doch wenn sie schlafen wollte, holte eine Krankenschwester das Kind ab. Stillte man das Baby, wurde es einem natürlich sofort gebracht, sobald es aufwachte. Noreen sagte zu mir, so habe man das Beste zweier Welten. »Auf die Art können Sie ein wenig Ruhe bekommen«, erklärte sie, »aber auch genug Zeit mit ihrem kleinen Wonneproppen verbringen.«
Am Liebsten hätte ich ihr gesagt, sie könne Max den ganzen Tag behalten, denn ich hatte nicht die geringste Ahnung, was ich mit einem Neugeborenen anfangen sollte. Ich legte ihn auf die Bettkante, wickelte ihn aus seiner Decke und staunte über die Länge der Beine und die blassen blauen Füße. Als ich versuchte, ihn wieder einzuwickeln, scheiterte ich kläglich, und Max strampelte sich frei. Ich drückte den Rufknopf, und Noreen kam und zeigte mir, wie ich es machen musste. Dann legte ich ihn in den Stubenwagen neben dem Bett – nicht auf den Bauch, denn der Nabel war noch nicht verheilt, und auch nicht auf den Rücken, damit er nicht an plötzlichem Kindstod sterben würde –, doch die Wände des Wagens waren zu hoch, und so ließ ich ihn auf die weichen Decken fallen. Max begann zu schreien. »Tu das nicht«, sagte ich, setzte mich auf und hob ihn wieder heraus. Doch Max kniff die Augen zusammen und formte mit dem Mund ein wütendes rotes O. Ich hielt ihn auf Armeslänge von mir und schaute zu, wie er mit den winzigen Beinen strampelte. Aus dem Augenwinkel heraus sah ich mehrere Krankenschwestern vorbeikommen, doch keine bot mir ihre Hilfe an. »Ach, bitte«, sagte ich, und mir traten die Tränen in die Augen. Ich legte mir Max auf die Schulter. Sofort wurde er ruhig und schnappte sich eine Hand voll Haar.
Noreen kam herein. »Er hat Hunger«, erklärte sie. »Versuchen Sie mal, ihn zu füttern.«
Ich schaute sie verständnislos an, und sie half mir, mich zurechtzusetzen. Dann legte sie mir ein Kissen auf den Schoß und Max darauf und öffnete mein Krankenhaushemd. Sie zeigte mir, wie ich meine Brustwarze halten sollte, sodass Max sie in den Mund nehmen konnte. »Er weiß nicht wirklich, wie man das macht«, sagte sie. »Sie müssen es ihm beibringen.«
»Oh«, sagte ich. »Ein Blinder soll dem anderen also das Sehen beibringen.«
Max biss mit seinem zahnlosen Mund so fest zu, dass mir vor Schmerz schon wieder die Tränen kamen. »Das kann nicht richtig sein«, sagte ich und dachte an die jungen Mütter im Werbefernsehen, die glückselig auf ihre nuckelnden Kinder hinabblickten, als seien sie Klein-Jesus höchstpersönlich. »Das tut einfach zu weh.«
»Es tut weh?«, hakte Noreen nach. Ich nickte. »Dann ist er auf dem richtigen Weg.« Sie streichelte Max die Wange, als möge sie ihn bereits. »Lassen Sie ihn ein paar Minuten trinken«, wies sie mich an. »Das ist erst die Kolostralmilch. Die richtige Milch kommt in ein paar Tagen.«
Noreen sagte, ich würde mich schon daran gewöhnen. Sie sagte, sie würde mir feuchte Teebeutel bringen, die ich mir auf die Brustwarzen legen könnte, wenn Max fertig war. Dann würde die Brust nicht so wund. Und schließlich ließ sie mich wieder allein. Ich starrte in den Regen hinaus, der gegen die dicke Glasscheibe prasselte, und die Welt draußen verschwamm. Ich kämpfte mit den Tränen und wartete darauf, dass mein Sohn mich aussaugen würde.
*
Mitten in der Nacht schob eine mir unbekannte Krankenschwester den Stubenwagen ins Zimmer. »Raten Sie mal, wer Hunger hat«, sagte sie fröhlich. Ich war noch wie benebelt vom Schlaf, doch ich griff nach Max, wie man es von mir erwartete. Ich hatte geträumt. Ich hatte mir meine Mutter vorgestellt, doch als Max schließlich seine Lippen wieder von meiner Brustwarze löste, war das Bild verschwunden.
Ich konnte die Augen nicht
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