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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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aussprach, war, dass ich daran zweifelte, überhaupt eine Mutter sein zu können.
    Jake schluckte und wandte sich ab. »Nun ja, dann werden wir eben noch andere haben«, sagte er und gab sich geschlagen. Er schaute in den Himmel, und ich wusste, dass er in den Sternen nach dem Gesicht unseres ungeborenen Kindes suchte – genau wie ich.
    Am Morgen des 3. Juni stand ich schon vor sechs Uhr auf und schlich aus dem Haus. Ich ging die Straße hinunter nach Saint Christopher und hoffte, nicht auf Vater Draher oder einen Messdiener zu treffen, den ich aus der Schule kannte. Ich kniete mich in die letzte Bank und flüsterte meinem zwölf Wochen alten Baby zu: »Süße. Mein Liebling.« Ich sagte all die Dinge, die ich ihm nie würde sagen können.
    Ich ging nicht in den Beichtstuhl, denn ich erinnerte mich an meine Freundin Priscilla, die einmal gesagt hatte: »Gewisse Dinge erzählt man einem Priester einfach nicht.« Stattdessen betete ich stumm eine Reihe von Ave-Marias, bis die Worte miteinander verschmolzen und ich die Silben in meinem Kopf nicht mehr von den Schmerzen in meinem Herzen unterscheiden konnte.
    Jake und ich berührten uns nicht auf der Fahrt nach Racine. Wir fuhren durch üppiges Acker- und Weideland. Jake folgte der Wegbeschreibung, die ihm die Frau am Telefon gegeben hatte. Manchmal sprach er die Nummern der Highways laut aus. Ich kurbelte das Fenster herunter und schloss die Augen im Wind. Dennoch sah ich vor meinem geistigen Auge weiterhin die schier unendlichen Felder, auf denen das Korn reifte.
    Von außen konnte man dem kleinen grauen Gebäude, vor dem wir schließlich hielten, nicht ansehen, was es war. Wir mussten durch den Hintereingang. Jake half mir aus dem Wagen. Auf der Vorderseite standen einige Demonstranten. Sie trugen mit roter Farbe bespritzte schwarze Regenmäntel und hielten Schilder hoch, auf denen ›Mörder‹ stand. Als sie Jake und mich sahen, drängten sie sich um uns und schrien irgendwelchen Unsinn, den ich nicht verstand. Jake legte den Arm um mich und schob mich durch die Tür. »Himmel!«, sagte er.
    Die müde blonde Frau, die Dienst am Empfang hatte, forderte mich auf, meine persönlichen Daten auf eine weiße Karte zu schreiben. »Bezahlt wird im Voraus«, sagte sie, und Jake holte sein Portemonnaie heraus. Darin befanden sich dreihundert Dollar, die er am Abend zuvor aus der Registrierkasse seines Vaters in der Werkstatt genommen hatte. Das sei einfach nur ein Gehaltsvorschuss, hatte er zu mir gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen.
    Die Frau verschwand kurz. Ich schaute mich in dem weiß gestrichenen Raum um. Es gab keine Poster an der Wand, und auf dem Tisch lag nur eine Hand voll alter Zeitschriften. Im Wartebereich saßen gut zwanzig Leute – größtenteils Frauen –, und alle sahen sie aus, als seien sie aus Versehen hierher geraten. In der Ecke stand auch ein Karton mit Bauklötzen und Sesamstraßenpuppen … nur für den Fall, doch es waren keine Kinder hier, die damit hätten spielen können.
    »Wir sind heute ein wenig unterbesetzt«, sagte die blonde Frau, als sie mit einer pinkfarbenen Informationsbroschüre für mich wieder zurückkehrte. »Wenn Sie ein wenig spazieren gehen wollen oder so … Es wird mindestens zwei Stunden dauern.«
    Jake nickte, und weil man es uns so gesagt hatte, schlurften wir wieder hinaus. Diesmal machten die Demonstranten uns eine Gasse frei und brachen in Jubel aus. Sie glaubten, wir hätten unsere Meinung geändert. Wir liefen vom Parkplatz herunter und gingen drei Blocks weit. Dann drehte Jake sich zu mir um. »Ich weiß nicht das Geringste über Racine«, sagte er. »Du?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Wir könnten im Kreis laufen«, schlug ich vor, »oder wir gehen einfach geradeaus weiter und behalten die Uhr im Auge.«
    Doch die Klinik lag in einer seltsamen Gegend, und obwohl Racine eigentlich gar nicht so groß war, gingen wir mehrere Meilen weit und sahen nur Farmen, eine Kläranlage und leere Weiden. Schließlich deutete ich auf ein kleines, eingezäuntes Areal.
    Der kleine Spielplatz wirkte inmitten dieser Stadt irgendwie fehl am Platze. Schließlich hatten wir keine Wohnhäuser gesehen. Es gab ein paar Schaukeln mit Stoffsitzen, ein paar Klettergerüste und ein kleines Karussell. Jake schaute mich an und lächelte zum ersten Mal an diesem Tag. »Wer zuerst da ist, hat gewonnen«, sagte er und rannte zu den Schaukeln.
    Aber ich konnte nicht. Ich war zu müde. Und ich hatte heute noch nichts gegessen. Man hatte mir

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