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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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sechs und zwölf Stunden dauerte. Zuerst, so hatte man mir beigebracht, würden sie unregelmäßig und im Abstand von Stunden kommen. Auch hatte ich gelernt, dass ich den Schmerz durch regelmäßiges Ein- und Ausatmen kontrollieren konnte. Doch meine Wehen hatten ohne Vorwarnung eingesetzt, und ihr Abstand betrug weniger als fünf Minuten. Und nichts, noch nicht einmal die vorangegangene Wehe, konnte mich auf den Schmerz der nächsten vorbereiten.
    Nicholas stopfe meinen Bademantel, zwei T-Shirts, mein Shampoo und seine Zahnbürste in eine braune Papiertüte. Dann kniete er sich neben mich auf den Badezimmerboden. »Himmel«, sagte er, »es liegen nur noch drei Minuten zwischen den Wehen.«
    Oh, es tat so weh, und ich wand mich im Wagen hin und her. Ich hatte zu bluten begonnen, und bei jedem Krampf krallte ich mich in Nicholas’ Hand. Der Regen peitschte um den Wagen herum, und der Wind heulte so laut wie ich. Nicholas schaltete das Radio ein und sang mir etwas vor. Er kannte die Liedtexte nicht, also erfand er neue. Und wenn wir auf eine Kreuzung fuhren, steckte er den Kopf zum Fenster hinaus und schrie: »Meine Frau bekommt ein Kind!« Und wie ein Wahnsinniger raste er sogar über rote Ampeln.
    Am Krankenhaus angekommen, parkte er in der Krankenwageneinfahrt und half mir aus dem Wagen. Er fluchte über das Wetter, die Verkehrsverhältnisse und die Tatsache, dass es im Mass General keinen Kreißsaal gab. Es goss inzwischen wie aus Eimern. Binnen Sekunden waren meine Kleider durchnässt und klebten auf meinem gespannten Bauch. Nicholas schleppte mich zum Empfang der Notaufnahme, wo eine fette schwarze Frau sich in den Zähnen herumstocherte. »Sie ist registriert«, bellte er. »Prescott, Paige.«
    Ich konnte die Frau nicht sehen. Ich wand mich auf einem Plastikstuhl und schlang die Arme um den Unterleib. Plötzlich ragte ein Gesicht über mir auf – das der Frau vom Empfang –, rund und dunkel und mit gelben Tigerzähnen. »Liebes«, sagte sie, »müssen Sie schon pressen?«
    Ich konnte nicht sprechen, also nickte ich einfach, und die Frau rief sofort nach einem Rollstuhl und einem Pfleger. Nicholas schien sich wieder zu entspannen. Ich wurde in eines der älteren Entbindungszimmer gebracht. »Was ist mit diesen modernen Zimmern?«, verlangte Nicholas zu wissen. »Die mit den netten Vorhängen und Laken und so? Für so eins waren wir doch angemeldet.«
    Ich hätte mein Kind auch in einer Höhle auf einem Bett aus Laub zur Welt gebracht, ›nette Vorhänge‹ waren mir scheißegal. »Tut mir leid, Herr Doktor«, antwortete der Pfleger, »wir sind voll belegt. Offenbar lässt der Luftdruck während des Sturms den Frauen die Fruchtblasen platzen.«
    Innerhalb von wenigen Minuten stand Nicholas rechts und eine Hebamme links neben mir. Ihr Name war Noreen, und ich vertraute ihr mehr als meinem eigenen Mann, der schon Hunderten das Leben gerettet hatte. Noreen raschelte mit dem Laken zwischen meinen Beinen. »Der Geburtskanal ist schon zehn Zentimeter weit«, verkündete sie. »Showtime.«
    Sie verließ den Raum und ließ mich mit Nicholas allein. Mein Blick folgte ihr zur Tür. »Ist schon okay, Paige. Sie geht nur Dr. Thayer holen.« Nicholas legte mir die Hand aufs Knie und massierte sanft die Muskeln. Ich hörte meinen rasselnden Atem und den Puls in meinen Ohren. Ich drehte mich zu Nicholas um, und mit einer Klarheit, wie nur Schmerz sie hervorbringen kann, wusste ich, dass ich diesen Mann eigentlich überhaupt nicht kannte und mir das Schlimmste noch bevorstand. »Fass mich nicht an«, flüsterte ich.
    Nicholas sprang unwillkürlich zurück, und ich schaute ihm in die Augen. Sie waren grau umrandet, ihr Blick überrascht und verletzt. Und zum ersten Mal in meinem Leben dachte ich: Gut so .
    Dann platzte Dr. Thayer in den Raum. »Sie hatten wohl keine Lust mehr zu warten, oder, Paige?«
    Sie hockte sich vor mich, und vage war ich mir bewusst, dass sie an und in mir herumtastete. Ich wollte ihr sagen, dass ich natürlich noch hätte warten können, dass ich hatte warten wollen , meinetwegen sogar mein ganzes Leben lang, doch plötzlich war das nicht mehr wahr. Plötzlich wollte ich dieses zusätzliche Gewicht und den furchtbaren Schmerz einfach nur loswerden.
    Nicholas packte mein Bein und Noreen das andere, während ich presste. Ich war fest davon überzeugt, gleich auseinanderzubrechen. Noreen hielt mir einen Spiegel zwischen die Beine. »Hier ist der Kopf, Paige«, sagte sie. »Wollen Sie ihn mal

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