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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Gestalt an. Ich konnte nicht in Chicago bleiben, nicht wenn ich wusste, dass Jake nur wenige Minuten von mir entfernt war. Und ich konnte meine Schande auch vor meinem Vater nicht lange geheim halten. Nach dem Abschluss würde ich einfach verschwinden. »Ich werde also doch nicht aufs College gehen.« Ich sprach den Gedanken laut aus.
    »Was hast du gesagt?«, fragte Jake. Er schaute mich an, und ich sah in seinen Augen die Macht von hundert Küssen und die heilende Kraft seiner Umarmung.
    »Nichts«, antwortete ich. »Gar nichts.«
    Eine Woche später, nach dem Abschluss, packte ich meinen Rucksack und schrieb meinem Vater einen Brief, in dem stand, dass ich ihn liebte. Ich stieg in einen Bus und fuhr nach Cambridge, Massachusetts – den Ort hatte ich mir ausgesucht, weil der Name so schön klang und weil er mich an seinen Namensvetter jenseits des Meeres erinnerte. So ließ ich meine Kindheit hinter mir.
    In Ohio griff ich in meinen Rucksack und kramte nach einer Orange, doch stattdessen fand ich nur einen mir unbekannten, vergilbten Briefumschlag. Mein Name war darauf gedruckt, und er enthielt einen alten irischen Segen, den ich schon eine Million Mal als Stickerei über Jakes Bett gesehen hatte:
    Möge die Reise dir gelingen.
    Mögest du den Wind stets im Rücken haben.
    Möge die Sonne dir warm ins Gesicht scheinen.
    Möge der Regen sanft auf die Felder fallen.
    Und bis wir uns wiedersehen,
    Möge Gott dich in seiner Hand halten.
    Während ich den Text in Jakes sorgfältiger, geschwungener Handschrift las, begann ich zu weinen. Ich hatte keine Ahnung, dass er das für mich dagelassen hatte. Ich war an jenem letzten Abend die ganze Zeit über wach gewesen, als er in meinem Raum gewesen war, und seitdem hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Er musste gewusst haben, dass ich Chicago, dass ich ihn verlassen würde.
    Ich starrte aus dem beschlagenen Busfenster hinaus und versuchte, mir Jakes Gesicht vorzustellen, doch ich sah nur den Asphalt des unbekannten Highways. Jake verblasste bereits in meinen Erinnerungen. Zärtlich strich ich über das Papier. Mit diesen Worten hatte Jake mich losgelassen, was bewies, dass er mehr über die Gründe wusste, warum ich gegangen war, als ich selbst. Ich hatte geglaubt, ich sei wegen der Dinge weggelaufen, die geschehen waren. Ich wusste nicht – bis ich wenige Tage später Nicholas kennenlernte –, dass ich nicht von etwas weg , sondern zu etwas gelaufen war, das noch geschehen würde.

K APITEL 15
    N ICHOLAS
    Nicholas beobachtete, wie seine Frau sich langsam in einen Geist verwandelte. Sie schlief nie wirklich, denn Max wollte alle zwei Stunden trinken. Paige hatte Angst, ihn auch nur eine Minute allein zu lassen, also duschte sie nur jeden zweiten Tag. Ihr Haar fiel ihr über den Rücken wie eine verfilzte Badematte, und sie hatte Schatten unter den Augen. Ihre Haut wirkte empfindlich und durchsichtig, und manchmal berührte Nicholas sie, einfach nur um zu sehen, ob sie nicht unter dieser Berührung verschwinden würde.
    Max schrie die ganze Zeit. Nicholas fragte sich, wie Paige das aushielt, dieses ständige Kreischen direkt an ihrem Ohr. Paige schien es noch nicht einmal zu bemerken, aber sie nahm in dieser Zeit ohnehin nicht viel wahr. Vergangene Nacht hatte Nicholas sie im dunklen Kinderzimmer gefunden, wo sie Max in seiner Wiege angestarrt hatte. Er hatte sie von der Tür aus beobachtet und gespürt, wie er beim Anblick seiner Frau und seines Sohns vages Unwohlsein empfand. Als er den Raum betrat, wurden seine Schritte vom Teppich gedämpft. Dann berührte er Paige an der Schulter. Sie drehte sich zu ihm um, und Nicholas war entsetzt, als er ihren Blick bemerkte. Da war keine Zärtlichkeit, keine Liebe und keine Sehnsucht. Stattdessen war ihr Blick voller Fragen, als verstehe sie nicht, was Max hier eigentlich machte.
    Nicholas war vierundzwanzig Stunden am Stück im Krankenhaus gewesen, und er war erschöpft. Auf der Heimfahrt hatte er sich immer und immer wieder drei Dinge vorgestellt: eine Dusche, einen dampfenden Teller Fettuccine und sein Bett. Als er in die Einfahrt fuhr und ausstieg, hörte er bereits das hohe Schreien seines Sohnes, selbst durch die geschlossenen Fenster hindurch. Bei diesem Geräusch verließ ihn auch der letzte Rest seiner Kraft. Träge schlurfte er auf die Veranda, und nur widerwillig betrat er sein eigenes Haus.
    Paige stand mitten in der Küche und balancierte Max auf der Schulter. In der Hand hielt sie einen Schnuller, und sie hatte sich das

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