Und dennoch
besetzt«. Diese Einschätzung kann ich aus meiner eigenen Wahrnehmung nur bekräftigen.
Vor allem hinsichtlich des Aufbaus der Bundeswehr und anlässlich der Wiedereinführung der Wehrpflicht blieb die Frage des »Eidbruchs« auch nach dem Prozess der umstrittene politische Kern der Auseinandersetzung. Manchmal geistert er noch heute in rechtslastigen Sprüchen herum.
In jüngerer Zeit ist der 20. Juli endlich zu einem anerkannten Gedenktag geworden, und ich war sehr bewegt, als ich die Festansprache am Vorabend des 20. Juli 2003 halten durfte, die ich mit meinen eigenen Erinnerungen verband. Im Jahr 2010 war es der gebürtige Deutsche Fritz Stern, der als Kind mit seinen Eltern aus Deutschland geflohen war und in Amerika als angesehener Historiker lebt. In einer viel beachteten Rede im
Ehrenhof des Bendlerblocks in Berlin, in dem die Widerstandskämpfer Friedrich Olbricht, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Werner von Haeften bereits am Abend des 20. Juli erschossen worden waren, schilderte er seine Eindrücke sowohl von seiner Teilnahme an der ersten offiziellen Gedenkveranstaltung zum 20. Juli im Jahr 1954 als auch von der im Jahre 2010. Damals, so sagte Stern, »war es die Sicht der Witwen in Schmerz und Trauer, die Sicht der vaterlosen Kinder, das Wahrnehmen ihrer Tränen, die ich sah oder ahnte – das hat mich zutiefst betroffen … Heute ist der Tag Erinnerung und Auftrag zugleich … Ein Denkmal der Versöhnung: die Toten zu ehren, den Künftigen zur Mahnung.«
Immer wieder wurde mir in den Jahrzehnten seit 1945 schmerzlich bewusst, wie sehr uns Emigranten wie Fritz Stern, aber auch Alfred Grosser, Saul Friedländer, Karl Popper, Erich Fromm, Hans Jonas, Hannah Arendt und viele andere bei der Aufarbeitung und den Auseinandersetzungen in der Nach-Hitler-Zeit gefehlt haben! Es dauerte lange, bis sie und ihre Beiträge zur geistigen und politischen Besinnung in der Bundesrepublik willkommen waren. Ähnliches gilt für die literarischen Werke der Emigranten wie Bert Brecht, Lion Feuchtwanger oder Joseph Roth.
Die gescheiterte Entnazifizierung und ihre Folgen
In den späten vierziger Jahren endeten die Entnazifizierung und die Rehabilitierung der davon Betroffenen Schlag auf Schlag: Nach der Regierungsbildung des ersten Kabinetts unter Kanzler Adenauer erfolgte durch den Bundestag, in dem von den 402 Abgeordneten immerhin zweiundfünfzig eine Nazi-Vergangenheit hatten, umgehend eine erste Amnestie für etwa rund 8000 sogenannte Kleintäter, die wegen Diebstahls oder Schwarzhandels angeklagt waren, darunter auch sehr zahlreich kriminelle Nazis. Die zweite Amnestie folgte dann 1954. Schon drei Jahre
zuvor trat auch das 131er Gesetz in Kraft: Mit dem Artikel 131 garantierte das Grundgesetz einen Rechtsanspruch auf Wiedereinstellung für nach 1945 aus dem öffentlichen Dienst Entlassene, wenn sie nicht als »Hauptschuldige« oder »Belastete« eingestuft waren. Es war also tatsächlich eine Art Wiedergutmachung für Hunderttausende von sogenannten Entnazifizierungsgeschädigten. Darüber hatte es bereits im ersten Bundestagswahlkampf 1949 heftige Auseinandersetzungen gegeben. Mit Schaudern erinnere ich mich an ein FDP-Plakat, auf dem auf grell gefärbtem Hintergrund zu lesen war:
Schlussstrich drunter!
Schluss mit Entnazifizierung – Entrechtung – Entmündigung.
Schluss mit dem Staatsbürger 2. Klasse.
Wer staatsbürgerliche Gleichberechtigung will, wählt FDP!
Ich war entsetzt ob dieser demagogischen Vereinfachung und alarmiert, welche Folgen eine derartige Haltung im Wettbewerb mit anderen Parteien haben würde. Ohnehin hegte ich große Zweifel, ob Entnazifizierung per Fragebogen oder Spruchkammerverfahren überhaupt etwas bewirken konnte. Heute bin ich sicher, dass sie aus Nazis keine Demokraten gemacht hat. Bedenklicher war jedoch eine Renazifizierung, wie sie sich in besagtem Plakat bereits unterschwellig ankündigte.
Bundeskanzler Konrad Adenauer, der Realist, machte sich die Verhärtung im West-Ost-Gegensatz zunutze, und zwar unter zwei Gesichtspunkten: Außenpolitisch war er entschlossen, die junge Bundesrepublik in den beginnenden europäisch-atlantischen Einigungsprozess einzubringen und im Kalten Krieg aus tiefster Überzeugung eindeutig antikommunistische Stellung zu beziehen. Und innenpolitisch wollte er jedwede Entnazifizierung auch deshalb »liquidieren«, weil, wie er unverblümt argumentierte, ohne frühere Fachleute und Angehörige aus
Weitere Kostenlose Bücher