Und dennoch
habe mich jahrelang dafür engagiert, auch als es aussichtslos schien. Vielleicht haben meine »Kolleginnen« vom Gasmasken-Gruppenakkord ja doch noch ein paar hundert Euro erhalten.
Insgesamt wurden seit Beginn der Wiedergutmachungsgesetzgebung rund 66 Milliarden Euro Entschädigung geleistet. Eine beträchtliche Summe, die ein Kenner der Materie bei einer Anhörung im Bundestag allerdings so kommentierte: Etwa 4,5 Millionen Anträge seien gemäß des Gesetzes gestellt worden, etwa die Hälfte davon wurde anerkannt. Pro Person ergab das im Schnitt 10 000 Euro – wahrlich kein exorbitanter Betrag, verglichen mit den Verbrechen an Leib und Leben und dem Verlust an Hab und Gut! Wobei davon auszugehen ist, dass viele Opfer letztlich überhaupt keine Entschädigung erhalten haben. Ihre Zahl ist nicht bekannt.
Nachdem es bis in die zweite Hälfte der fünfziger Jahre hinein so gut wie keine juristischen Ansätze zur Verfolgung von Kriegsverbrechen gegeben hatte und danach Verjährungsfristen näherrückten, drohten Berge von unaufgearbeiteten Fällen unter den Tisch zu fallen. Da entschlossen sich die Justizminister der Länder im November 1958, eine Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg zu errichten, die im Laufe der Jahre vorzügliche Arbeit leistete. 1,6 Millionen Karteikarten wurden angelegt, gegenüber mehr als hunderttausend Personen Vorermittlungs- und
Ermittlungsverfahren eingeleitet, darunter Prozesse gegen zahlreiche KZ-Schergen. Insgesamt kam es zu 6654 rechtskräftigen Verurteilungen. Ohne diese immense Leistung wäre in all diesen Fällen keinerlei Verurteilung erfolgt. Dennoch blieben viele Verbrechen unentdeckt oder konnten nicht mehr verfolgt werden.
Mit Hilfe der Zentralen Stelle Ludwigsburg konnten Anfang der sechziger Jahre endlich auch die großen Prozesse über die Verbrechen in den Vernichtungslagern Auschwitz, Treblinka und Sobibor vorbereitet und in den Jahren 1963 bis 1967 durchgeführt werden. Über zwanzig Jahre nach Kriegsende und unter schwersten Bedingungen für die oft der deutschen Sprache nicht mächtigen und verängstigten Zeugen.
Aufbegehren gegen die »unbewältigte Vergangenheit«
Die Prozesse, insbesondere die erschütternden Zeugenaussagen von einigen wenigen Überlebenden lösten zum ersten Mal in der Öffentlichkeit aufrichtige Betroffenheit aus und setzten ein grundsätzliches Nachdenken über die bisherigen Versäumnisse in Gang. Von nun an beschäftigten sich die Kinder der Tätergeneration mit der unbewältigten Vergangenheit ihrer Eltern. Dazu trugen auch eindringliche Bücher bei, wie zum Beispiel das über Die Unfähigkeit zu trauern der Psychoanalytiker Alexander und Margarete Mitscherlich. In diesem Werk werden Verdrängung und Verschweigen anhand von Fallstudien überzeugend dargestellt und diskutiert. Ähnlich wirkte Karl Jaspers’ Schrift Wohin treibt die Bundesrepublik? , in der der Psychiater und Philosoph deutlich zeigte, dass sich der neue Staat erst noch bewähren müsste. Große Resonanz fand auch Der SS-Staat , das umfassende Standardwerk des ehemaligen Buchenwald-Häftlings Eugen Kogon. Diese und andere Veröffentlichungen lieferten in der Debatte um eine Verjährung von Nazi-Verbrechen bei Mord wichtige Argumente zur Verlängerung von Fristen und schließlich 1979 zur Abschaffung jedweder
Verjährung bei Mord. Auch die Publikationen der deutsch-amerikanischen Jüdin Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem und Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft , sorgten für Aufklärung und stärkten die Entschlossenheit, nun endlich bisher Versäumtes nachzuholen. Ab Ende der 1960er Jahre war es vor allem der Soziologe Ralf Dahrendorf, der mit seinen Überlegungen zu Gesellschaft und Demokratie in Deutschland zum Umdenken beitrug, nicht zuletzt auch Sebastian Haffner mit seinen scharfsinnigen Analysen.
So bahnte sich also ab der zweiten Hälfte der sechziger Jahre ein politischer Epochenwechsel an, auf den ich schon lange sehnlichst gehofft hatte. Er ging zunächst von der Studentenbewegung aus. Leider driftete diese zusehends ins linksextreme, später ins gewaltbereite Lager ab, sodass sie für den weiteren Aufarbeitungs- und Demokratisierungsprozess weitgehend ausfiel. Ihre klügsten Köpfe wie zum Beispiel Jürgen Habermas verließen sie. Als ich 1969 auf dem Hessentag in Gießen bei meiner Festrede über die berechtigten Anliegen der Studenten von diesen mit Stinkbomben beworfen und
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