Und dennoch
gefragt, ob es wohl für die Sieger eine andere Möglichkeit gegeben hätte, um die braune Spreu vom einigermaßen unverdorbenen Weizen zu trennen. Aus der Rückschau betrachtet, glaube ich es nicht, es war einfach zu viel braune Spreu. Schon frühzeitig beschlich mich die Sorge, dass es Rückschläge geben könnte, wenn Täter, Mittäter und Mitläufer in die Rolle von Opfern wechselten, sich miteinander solidarisierten und zu keinerlei Selbsterkenntnis, geschweige denn Trauerarbeit oder Bereitschaft zur Wiedergutmachung bereit waren. So kam es denn auch, dass ehemalige NSDAP-Mitglieder tatsächlich eine Entschädigung für die Folgen ihrer Entlassung forderten. Ich fand das empörend, denn bislang hatte es noch nicht einmal eine bundeseinheitliche Wiedergutmachung für NS-Opfer gegeben.
Die politischen Anstößigkeiten hörten damit jedoch nicht auf: Eine sogenannte Kollektivschuld der Deutschen wurde von Anbeginn empört abgelehnt. Zu Recht, meine ich, weil Schuld nicht kollektiv, sondern nur individuell angelastet und übernommen werden kann. Konnte man sich aber deshalb die Hände in kollektiver Unschuld waschen? Gab es nicht wenigstens so etwas wie eine kollektive Verantwortung, eine »Kollektivscham«, wie Heuss es formulierte?
Diesen Begriff fand ich etwas ungenau und verwendete
stattdessen die Aussage, dass es für mich keine Kollektiv un schuld gegeben hätte, nachdem jeder habe wissen und wahrnehmen können und müssen, welche Verfolgung und welches Unrecht in Deutschland Juden und politisch Andersdenkende, Zwangsarbeiter und missliebige Meckerer – »Halt den Mund, sonst kommst du nach Dachau« – erdulden mussten. Dafür erntete ich häufig Widerspruch und Missfallen. Wirklich ausgestanden wurde die Kontroverse eigentlich nie, und im rechtsextremistischen Sprachgebrauch gilt bis heute für einen »guten Deutschen« nur die kollektive Unschuldsbeteuerung.
Der zweite Stein kontroverser Anstößigkeit war die Debatte um die Beurteilung des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944 . Noch Mitte der fünfziger Jahre wurde er von etwa der Hälfte der Bevölkerung als Hoch- und Landesverrat geschmäht. Die Offiziere, die ihn geplant hatten, seien vom Ausland bestochen und zu Recht als »ehrloses Gesindel« zum Tode verurteilt worden. Nur sehr allmählich änderte sich diese Einstellung. Dazu hatte ein Prozess, den der couragierte nachmalige hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer gegen den Hauptverleumder und Holocaustleugner Ernst Otto Remer eingeleitet hatte, entscheidend beigetragen. Fritz Bauer, einem aus der schwedischen Emigration zurückgekehrten hochkarätigen und moralisch motivierten Juristen, gelang es 1952, den früheren Generalmajor wegen Verunglimpfung der Widerstandskämpfer des 20. Juli anzuklagen. Remer war ehemals Kommandeur des in Berlin stationierten Wachbataillons »Großdeutschland« gewesen, der seine Auftritte nach 1945 mit selbstgefälligen Erzählungen darüber bestritt, wie es ihm am 20. Juli gelungen sei, einen Erfolg der »Eidbrecher« zu vereiteln. Er war zum Hauptzugpferd der neuen/alten Rechten geworden und ein führendes Mitglied der 1952 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen SRP, der Sozialistischen Reichspartei. Er verbat sich, Neo-Nazi genannt zu werden: »Ich war, bin und bleibe Nazi!«
Die Männer des 20. Juli: keine Landesverräter
Fritz Bauer ging es um die volle Rehabilitierung der Beteiligten des 20. Juli. Am 7. März 1952 kam es in Braunschweig zum Prozess, bei dem auch mehrere überlebende Widerstandskämpfer und deren Familienangehörige als Nebenkläger auftraten. Am Ende wurde Bauer ein wirklicher Erfolg zuteil. Das Gericht verurteilte Remer zwar nur zu einer dreimonatigen Gefängnisstrafe, bescheinigte aber den Männern des 20. Juli 1944,
dass sie keine Landesverräter gewesen seien, sondern durchweg aus heißer Vaterlandsliebe und selbstlos bis zur Selbstaufopferung mit Verantwortungsbewusstsein gegenüber ihrem Volk gehandelt hätten, nicht mit der Absicht, dem Reich oder der Kriegsmacht des Reiches zu schaden, sondern allein mit der Absicht, beiden zu helfen.
Im Deutschland des Jahres 1952 war dieses Urteil eine Sensation und bewirkte den Beginn eines langsam einsetzenden Umdenkens in der Beurteilung des Widerstands. Dennoch waren, wie Norbert Frei in seinem Buch 1945 und wir schreibt, »die Deutungs- und Erinnerungsverhältnisse in puncto Widerstand nach wie vor, und dies noch jahrelang, sehr prekär und auch weiterhin außerordentlich emotional
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