Und dennoch
NS-Behörden keine Bundesverwaltung, kein Auswärtiger Dienst und keine Bundeswehr aufzubauen wäre.
Die »Segnungen« des 131er Gesetzes und die umfängliche
Entlastungspraxis ursprünglich von Spruchkammern verurteilter Nazis wurden dann auch exzessiv genutzt. In Scharen strömten »131er« in ihre früheren Positionen oder gelangten sogar in höhere Stellungen. Ehemalige Nazis drangen bis in die Spitzen des Staates und der Öffentlichkeit. Da war zum Beispiel Hitlers ehemaliger Referent und Kommentator für die Nürnberger Rassengesetze, Hans Globke, der zum Chef des Bundeskanzleramts unter Adenauer avancierte – man sagte, weil er ein gläubiger Katholik gewesen sei. Und mindestens zwei Minister des rechtslastigen CDU-Koalitionspartners DP (Deutsche Partei) zogen mitsamt ihrem braunen Tross in die Regierung ein. Insgesamt sollen in den Bonner Ministerien zeitweilig bis zu 60 Prozent einstige Nationalsozialisten gearbeitet haben, in der bayerischen Justiz sogar bis zu 90 Prozent. Für den Anfang mag das nicht anders möglich gewesen sein, ich empfand es jedoch als ein Risiko, dass mit dieser Art der Rehabilitierung die Basis für eine junge demokratische Verwaltung gelegt werden sollte.
Politisch wurde das damit gerechtfertigt, dass es helfe, den inneren Frieden in der Bundesrepublik zu wahren und die »Ehemaligen« für die neue Ordnung zu gewinnen. Auch das mag eine gewisse Berechtigung gehabt haben, aber es ging auf Kosten der unverzichtbaren und überfälligen Vergangenheitsaufarbeitung – von Bewältigung spreche ich höchst ungern, weil sich Schuld nicht bewältigen, allenfalls bereuen und abtragen lässt.
Fest steht aber, dass sich mit der raschen Umsetzung des 131er Gesetzes der Druck zum Verdrängen, Beschweigen und zur »Schlussstrich«-Apologetik verstärkte. Diese Entwicklung erinnere ich als die unerfreulichste der ganzen Nach-Hitler-Zeit. Sie hielt bis Ende der sechziger Jahre an und verstärkte sich von Zeit zu Zeit als Folge einer von rechts geschürten Kalter-Kriegs-Hysterie. Diese war Wasser auf die Mühlen ehemaliger Nazis: »Hitler hatte also doch recht mit seinem Krieg gegen die Sowjets«, so tönte es nicht nur an vielen Stammtischen.
Aber was ich als fast noch alarmierender empfand: Nach der »Liquidierung« der Entnazifizierung schienen auch die Prozesse
gegen NS-Verbrecher einzuschlafen. Selbst bei höchsten Würdenträgern in Staat und Kirche grassierte ein Begnadigungsfieber zugunsten bereits rechtskräftig Verurteilter. Auch wurde kaum einer der tiefbraunen Richter und Staatsanwälte zur Rechenschaft gezogen, und ungezählte Kriegsverbrecher entflohen mit Hilfe von alten SS-Seilschaften und hohen Vertretern der katholischem Kirche zumeist über Südtirol und Rom in lateinamerikanische Staaten. Während die Angehörigen von hingerichteten Widerstandskämpfern von Sozialhilfe leben mussten, bezog etwa die Witwe des »Blutrichters« Roland Freisler, der auch die Schauprozesse gegen die Mitglieder der Weißen Rose geleitet hatte, bereits eine stattliche Pension. Schließlich: Ein von den Alliierten angeregter erster Staatsvertrag mit Israel erhielt keine Mehrheit bei den Koalitionspartnern der Adenauer-Regierung und konnte im März 1953 nur mit Hilfe der Stimmen der SPD-Opposition verabschiedet werden.
Insgesamt hatte die angeblich so nützliche Rehabilitierungspolitik also auch höchst unerfreuliche Folgen. Eine rechtzeitige personelle Erneuerung in öffentlichen Verwaltungen und in der Justiz wurde um mindestens ein Jahrzehnt verzögert, ebenso die Entwicklung demokratischer Lebensformen. Erst in jüngster Zeit ist dies durch die historische Untersuchung einer unabhängigen Kommission über Diplomaten im Dritten Reich und nach 1945 bestätigt worden. Die Rückkehr fast aller belasteten Diplomaten in das Auswärtige Amt zu Beginn der fünfziger Jahre, wie es in dem Buch Das Amt und die Vergangenheit nachgewiesen wurde, ist kein Ruhmesblatt in der Geschichte der Nach-Hitler-Zeit. Und ähnlich ist mehr oder weniger bedenkenlos in allen öffentlichen Verwaltungen, auch zum Beispiel in Universitäten, verfahren worden.
Insgesamt steckte das Nachkriegs(west)deutschland auf Jahre in einer Besorgnis erregenden Restauration und war am Rande einer pauschalen Rehabilitierung von Nazis und Schreibtischtätern. Einer von ihnen war der im »Dritten Reich« renommierte Strafrechtler Theodor Maunz, der von 1957 bis 1964 Kultusminister
in Bayern war. Ich »enttarnte« ihn, als mir einige seiner
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