Und dennoch
chauvinistisch-antisemitischen Schriften bekannt geworden waren. So hatte der Staats- und Verwaltungsrechtsgelehrte während der Zeit des Nationalsozialismus zum Beispiel Gutachten zur Legalität der Gestapo verfasst, zur Rechtmäßigkeit des Verbots für Juden, auf Parkbänken zu sitzen oder in »arische Schwimmbäder« zu gehen. Er argumentierte auch dafür, warum man ihnen keine Telefonanschlüsse erlauben dürfe.
Er sei ja im Spruchkammerverfahren entlastet worden, beschied mich im Bayerischen Landtag der damalige Ministerpräsident und Ex-SA-Mann Alfons Goppel auf meine Rücktrittsforderung für den Kultusminister. Ich gab nicht nach, denn Maunz war Vorgesetzter von Hundertausenden von Schülern, Studenten und Lehrern, und als solcher hätte er ein Vorbild sein sollen. Schließlich musste er doch zurücktreten, unter stehenden Ovationen der CSU-Fraktion. Nach seinem Tod 1993 wurde bekannt, dass er seit den sechziger Jahren regelmäßiger Rechtsberater und Kommentator der von Gerhard Frey herausgegebenen nazistischen Deutschen National-Zeitung gewesen war.
Wiedergutmachung und Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen
Auf Druck der Alliierten wurde im September 1953, in letzter Minute der ersten Legislaturperiode des Deutschen Bundestags, ein bundeseinheitliches Entschädigungsgesetz verabschiedet. Es war so miserabel, lückenhaft und restriktiv, dass es binnen drei Jahren novelliert werden musste und 1965 noch ein zweites Mal. Nach diesem Gesetz wurde ein ehemaliger Häftling für einen Tag im Konzentrationslager mit fünf Mark entschädigt – also mit rund 150 Mark für einen Monat. Diese minimale Wiedergutmachung war empörend, und auch das: Hunderttausende Angehörige von Euthanasieopfern, Zwangssterilisierte, Sinti und Roma oder Homosexuelle gingen leer aus und konnten erst in den achtziger
Jahren nach langen Kämpfen mit einer streckenweise unwürdig argumentierenden Finanzexekutive, jedoch mit Hilfe einer überfraktionellen Initiative im Bundestag, der auch ich angehörte, kärglich abgefunden werden.
Ganz zuletzt wurden, ab 2001, also sechsundfünfzig Jahre nach Kriegsende, nach unendlichen Querelen endlich auch die noch lebenden Zwangsarbeiter aus einem mit rund zehn Milliarden DM von Bund und Wirtschaft gespeisten Fonds entschädigt. Von den ursprünglich rund zwanzig Millionen Zwangsarbeitern, unter ihnen etwa viereinhalb Millionen überwiegend russische Kriegsgefangene, waren knapp drei Millionen bereits während der Nazizeit umgekommen. Wäre die Wiedergutmachung der Zwangsarbeiter weiter unterblieben, hätte es zahlreiche Sammelklagen an amerikanischen Gerichten gegeben. Dankenswert war, dass aus dem gemeinsamen Fonds von Bund und Industrie die Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« entstand, mit deren Mitteln seither freie Initiativen zu dieser Thematik finanziell unterstützt werden.
Mein eigenes Engagement für ehemalige Zwangsarbeiter entsprang einer Erfahrung aus dem Jahr 1942, als ich einen mehrwöchigen Ferienkriegsdienst bei den Metzeler Gummiwerken in München ableisten musste. Wir waren vier Studentinnen, die im Gruppenakkord mit je zehn Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine Gasmasken in Nachtschichten zusammenmontieren mussten, worin wir anfangs nicht besonders geschickt und vor allem nicht schnell genug waren. Die Ukrainerinnen waren voller Angst, dass ihre jeweilige Gruppe ihr vorgeschriebenes Soll nicht erreichte, und nun halfen sie uns Studentinnen auch noch, dass wir mithalten konnten. Wir hatten Sprechverbot, verständigten uns aber mit Blicken und Gesten, wodurch wir ihr Leid erahnten. Da entschlossen wir uns, heimlich in ihre Toilette, die unserer benachbart, aber von ihr streng getrennt war, Schmelzkäse, Brotscheiben und Zigaretten zu schmuggeln. Wir bedeuteten den Arbeiterinnen per Zeichensprache, dass wir ihnen damit eine kleine Freude machen wollten. Ihre Gesichter werde ich nie
vergessen! Ich denke, es waren nicht nur die wenigen Lebensmittel, die sie strahlen ließen, sondern vor allem das Gefühl, dass es in Deutschland auch mitfühlende Menschen gab.
Nach Ende des Feriendienstes versuchte ich dort noch weiter tätig zu sein. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, unter welchem Vorwand ich es versuchte, aber nach Semesterbeginn war es nicht mehr möglich. Was aus den Ukrainerinnen geworden ist, weiß ich nicht. Aber die Wiedergutmachung von Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen hatte seither für mich immer eine persönliche Bewandtnis, und ich
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