Und dennoch
geschändete jüdische Friedhöfe instand zu setzen oder gegen wieder wachsenden Antisemitismus, Rassismus und Fremdenhass aktiv zu werden.
Allgemein hat sich das Zusammenleben von Juden und Nicht-Juden spürbar normalisiert, wenn auch der nach wie vor ungelöste Nahost-Konflikt gelegentlich Schatten auf unsere Beziehungen wirft und auch unsere kritische Anteilnahme nicht ausbleibt.
Wenn auch Anlass zu wachsendem Optimismus besteht – von dauerhaft ungetrübter Normalität kann im deutsch-jüdischen Verhältnis erst dann gesprochen werden, wenn das Existenzrecht Israels in gesicherten Grenzen erreicht ist und jüdische Menschen und Einrichtungen in unserem Land nicht mehr von rechtsextremen oder islamistischen Übergriffen bedroht sind. Einen Schlussstrich kann es bis dahin nicht geben.
Hin und wieder wird am Prozess der Aufarbeitung oder an seiner Glaubwürdigkeit Kritik geübt. Ja, es stimmt: Manches hätte rechtzeitiger und anders verlaufen können. Verglichen jedoch mit der schier hoffnungslosen Ausgangssituation, ist seit den 1950er Jahren vieles geschehen und durch aufrichtige Bemühungen auch auf einen guten Weg gebracht worden. Es ist so, wie es Richard von Weizsäcker in seiner Rede zum vierzigsten Jahrestag der Befreiung von der NS-Diktatur auf den Punkt gebracht hat:
Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird … Wir Älteren schulden der Jugend nicht die Erfüllung von Träumen, sondern Aufrichtigkeit … Wir wollen ihnen helfen, sich auf die geschichtliche Wahrheit nüchtern und ohne Einseitigkeit einzulassen, ohne Flucht in utopische Heilslehren, aber auch ohne moralische Überheblichkeit.
Ich denke, wenn wir diesen Rat auch künftig beherzigen, dann war der lange Weg zur Selbstfindung nicht vergebens.
Demokratie fordert Höchstleistungen – manchmal aber auch gemeinsames Lachen.
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Demokratie ist keine Zauberformel: Über Bausteine und Baustellen der Demokratie als Staats- und Lebensform
Das Grundgesetz entsteht
Theodor Heuss hatte es bereits am 18. März 1946 in einer Berliner Rundfunkansprache prophezeit:
Die Demokratie ist keine Zauberformel für die Nöte der Welt, die gibt es auch in der Demokratie, sondern das Ergebnis politischer Bildung und demokratischer Gesinnung. Wir Deutschen müssen beim Wort Demokratie ganz von vorn anfangen mit dem Buchstabieren.
Dieses Demokratie-Buchstabieren-Lernen, das war es, worum es in den ersten Jahren der Nach-Hitler-Zeit ging. Zuerst in den Kommunen, ab 1946/1947 in den Ländern der westlichen Besatzungszonen, dann bei Landtagswahlen und schließlich, nach dem Zusammenschluss der drei westlichen Besatzungszonen 1948, mit der daraus folgenden nicht ganz freiwilligen Gründung eines provisorischen Weststaates, nachdem alle alliierten Verhandlungen mit der Sowjetunion gescheitert waren.
Wenn man bedenkt, dass dieses Provisorium namens Bundesrepublik, das 1948/49 entstand, zum Grundstein einer Erfolgsgeschichte wurde, kann man über die Kühnheit aller damaligen Beteiligten nur staunen und sich dankbar ihrer erinnern. Im September 1948 entsandten die Länderparlamente der westlichen Zonen fünfundsechzig Abgeordnete, darunter vier Frauen (Friederike Nadig, Elisabeth Selbert, Helene Weber und Helene Wessel), in den Parlamentarischen Rat, der unter denkbar unwirtlichen Bedingungen seine Arbeit in Bonn aufnahm. Die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes waren – wie man auf alten Fotos erkennen kann – ausgemergelte und von ihren Schicksalen gezeichnete
Menschen. Innerhalb von neun Monaten erarbeiteten sie das Grundgesetz mit seinen 146 Artikeln, und am 23. Mai 1949 stimmten ihm alle Bundesländer zu – bis auf Bayern (was formal übrigens bis heute nicht nachgeholt ist). Es war eine ungeheure Leistung, die die Abgeordneten unter schlechtesten räumlichen und technischen Arbeitsbedingungen da vollbrachten. Sie waren im Bonner Naturkundemuseum Koenig einquartiert, wo die ausgestopften Wildtiere erst zur Seite geräumt werden mussten. Die Ausschusssitzungen fanden in der Pädagogischen Akademie statt – dem späteren Bundeshaus. Die Ernährung war immer noch unzureichend, die Reisemöglichkeiten vom Heimatort der Beteiligten nach Bonn mehr als beschwerlich. Doch vor allem belastete sie die Ungewissheit, was es mit diesem Provisorium und dem anschließend zu gründenden Staat auf sich haben würde.
Während der Beratungen gab es einige hitzige Debatten,
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