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Und dennoch

Und dennoch

Titel: Und dennoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegard Hamm-Bruecher
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Demokratie, eine Lebensform und eine Bürgergesellschaft.
    Denkzettel Weimarer Republik
    Dafür wollte ich die Mitwirkung der Menschen, gleich welcher politischen oder weltanschaulichen Ansichten, gewinnen (freilich mit Ausnahme nazistischer): Sie sollten sich nicht mehr als Untertanen, sondern als Bürger‚ als »Citoyen«, verstehen, von dem, laut Artikel 20 des Grundgesetzes‚ »alle Staatsgewalt ausgeht«. Das heißt auch: Ein Bürger, von dem Mitdenken und Mitsprache erwünscht ist. Das heißt nicht: Dass ich eine plebiszitäre Demokratie wollte, bei der alle politischen Entscheidungen direkt vom Volk getroffen werden, aber ich wollte auch keine ausschließlich von Parteien und Bürokratien beherrschte und gesteuerte. Ich wollte und will eine repräsentative Bürgerdemokratie, die dem Menschen, ähnlich wie in der Schweiz, zwischen Wahlen Mitwirkung und Teilhabe ermöglicht. An einem solchen Bürgerbewusstsein hatte es in der Weimarer Demokratie entscheidend gefehlt, sodass sie 1933 von den Nazis beinahe widerstandslos abgeschafft werden konnte. Es hatte zu wenig mitverantwortungsbereite Bürger gegeben. Stattdessen hatte man der Monarchie nachgetrauert und der alten überschaubaren Ordnung.
    Das musste uns eine Lehre sein und durfte sich nach 1949 nicht wiederholen: Es genügte einfach nicht, die Demokratie als Staatsform per Dekret wieder einzuführen, mit dem Recht, alle vier Jahre ein Kreuzchen auf einer Parteiliste oder hinter einem zumeist unbekannten Kandidaten zu machen, der intern von den Parteien bestimmt worden und allenfalls dem Namen nach oder bestenfalls aus der Zeitung bekannt war – und damit genug der Demokratie. Zudem durfte es auch nicht beim traditionellhierarchischen System in Familien, Schulen, Kirchen, Parteien, Betrieben und im öffentlichen Leben bleiben.
    Um eine Wiederholung der Fehler von Weimar zu vermeiden, stellte ich mir Demokratie nicht nur als ein Staatssystem vor, sondern auch als eine Lebensform, die für die Bürger von Jugend auf erfahrbar und mitgestaltbar werden müsste. Auch müssten altersgemäße Partizipationsrechte Bestandteil der Verfassungswirklichkeit
sein. Unsere Demokratie müsste auf zwei Beinen stehen, und sie dürfte keine Einbahnstraße sein. Im Grundgesetzartikel 20 heißt es, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt wird. Hier tut sich in der Verfassungswirklichkeit eine folgenschwere Diskrepanz auf: Wahlen: Ja, alle vier oder fünf Jahre – Abstimmungen jedoch: Fehlanzeige, also keine Möglichkeit, von dem wichtigen Verfassungsrecht der Mitwirkung zwischen den Wahlen Gebrauch zu machen.
    Das bedarf meines Erachtens ganz dringend einer Revision: Entweder muss das Wort »Abstimmung« aus der Verfassung gestrichen oder aber für die Ausübung ausgeformt und zu einer zweiten Dimension der Demokratie konkretisiert werden. Eingedenk der Erfahrung des Scheiterns der Weimarer Republik, habe ich mich dieser Revision unserer Verfassungswirklichkeit zugunsten partizipatorischer Bürgerrechte von Anbeginn verschrieben. Dies hat mein Demokratieverständnis entscheidend geprägt und mich im Machtgefüge der parlamentarisch verfassten Parteiendemokratie zur Außenseiterin, gelegentlich zum Ärgernis gemacht.
    Ich habe mein demokratisches Politikverständnis nie über meine Parteizugehörigkeit oder das Parlamentsreglement definiert, sondern immer über das Wohl und Wehe unseres immer noch nicht gefestigten freiheitlichen Gemeinwesens. Dabei weiß ich sehr wohl, dass ich darüber mehr als einmal in Konflikte mit mir und anderen gekommen bin und zur »Parteisoldatin« wenig getaugt habe, aber ich habe auch erfahren, dass mein Bemühen Früchte getragen hat, dass ich Menschen für die Demokratie gewonnen und für meine Vorstellungen und Initiativen Zustimmung und Unterstützung erhalten habe. Natürlich durften trotz aller gesinnungspolitischen Orientierung meine verantwortungspolitischen Pflichten und Aufgaben in der tagespolitischen Kernerarbeit nicht zu kurz kommen. Davon soll nun wieder berichtet werden.
    Im Landtag – mit einer CSU à la Ludwig Thoma
    Zurück zu den Bausteinen der Demokratie: Im Dezember 1950 wurde ich nach der Rückkehr aus den USA zusätzlich zu meinem Stadtratsmandat in den Bayerischen Landtag gewählt und als einzige Frau Mitglied der damals sehr heterogenen siebenköpfigen FDP-Fraktion. Damit begann mein konkreter Einstieg in das zeitgeschichtliche Geschehen, und zwar gleich auf zwei Ebenen: Auf der

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