Und dennoch
eingeladen, um ihre Vorstellungen für das Gemeinwesen Schule zu diskutieren.
Abgesehen von den beiden genannten Stiftungen gab es
noch andere Tätigkeiten, in denen ich zur Demokratie als Lebensform beitrug. Dazu gehörten die schon erwähnten Kirchentage. Dabei war es mir von Anfang an wichtig, mich nicht nur mit den Irrtümern und Verhängnissen der deutschen politischen Geschichte – und dem Anteil der Kirche daran – auseinanderzusetzen, sondern mich auch an der verantwortlichen Gestaltung eines freiheitlichen Zusammenlebens religiöser Laiengemeinschaften zu beteiligen. Das konnte im Rahmen von Kirchentagen mit christlichen Werten und Verantwortlichkeiten vertieft, verstetigt und konkretisiert werden. Für Christen hieß das, sich an der demokratiepolitischen Gestaltung der Gegenwart aktiv zu beteiligen, Missstände aufzuzeigen und Alternativen zu erproben.
Abgesehen von diesen permanenten Beteiligungen gab es für mich viele temporäre Baustellen wie zum Beispiel die Hilfe für Drogenabhängige und Behinderte, die Beteiligung an der Entwicklung des Zweiten Bildungsweges und multikulturelle Projekte. In all diesen Bereichen kann der Staat nicht mehr ausreichende finanzielle Leistungen erbringen, sie müssen daher von der Gesellschaft unterstützt und erhalten werden.
Hoffnungsvoller Ausblick
In der Rückschau steht mein demokratiepolitisches Engagement auf der Habenseite meiner politischen Lebensbilanz, und ich kann nur hoffen und wünschen, dass es diese zweite demokratische Dimension ist, die dazu beiträgt, unserer schwächelnden Parteiendemokratie zu neuem Auftrieb und neuer Glaubwürdigkeit zu verhelfen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass sinnvolle bürgergesellschaftliche Beiträge in unserem Land mindestens mit – sagen wir – der Hälfte der finanziellen Mittel gefördert werden sollten, wie sie die Parteien aus Steuergeldern erstattet bekommen (siehe Kapitel 5). Eine wissenschaftliche Untersuchung hat nämlich ergeben, dass sich der Großteil der Bürgerinnen
und Bürger lieber in freien Initiativen engagiert als in politischen Parteien. Auch deshalb bedarf die Parteiendemokratie so dringend einer zweiten Dimension, der ich allerdings seitens des Staates eine größere Aufmerksamkeit und Unterstützung wünsche.
Insgesamt halte ich die vielfältige Entwicklung unserer Demokratie als Lebensform für ein wirklich erfreuliches Kapitel unserer politischen Geschichte, und ich bin froh, dass ich dazu beitragen konnte und kann. Natürlich erlebte ich auch Enttäuschungen. Manchmal erlahmte der erste Auftrieb zu rasch, oder man kümmerte sich um die anstehenden Gravamina nur nach dem Sankt-Florians-Prinzip, engagierte sich nur in eigener Sache. Dennoch: Entscheidend ist, dass unsere Demokratie mit dem Aufwachsen dieser zweiten Dimension — anders als die Weimarer Demokratie — ein festes Fundament und einen stabilen Rückhalt für gute, aber auch schlechte Zeiten erhalten hat.
»Unser Willy heißt Walter«
Doch zurück zur Politik der sechziger Jahren: Die Adenauer-Ära ging Mitte dieses Jahrzehnts zu Ende und damit auch die eher restaurative Epoche der Gründerzeit der Bundesrepublik. Konrad Adenauer hatte sich zwar große Verdienste um den Aussöhnungsprozess mit Frankreich und den westlichen Demokratien erworben, nun aber überwogen das Versäumnis innenpolitischer Reformen und außenpolitische Stagnation in Mittel- und Osteuropa. Dies war vor allem die Folge der Hallstein-Doktrin von 1955, die diplomatische Beziehungen zu Staaten verbot, die die DDR anerkannten. Das bedeutete Lähmung jedweder Ostpolitik.
Nach einer Übergangszeit mit Ludwig Erhard als zweitem und Kurt Georg Kiesinger als drittem Kanzler der Bundesrepublik bahnte sich 1969 ein Politikwechsel zur sozialliberalen Ära von Willy Brandt und Walter Scheel und ab 1974 von Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher an.
Der erste Vorbote dafür war 1969 die Wahl Gustav Heinemanns zum Bundespräsidenten, der 1952 die CDU verlassen hatte und 1957 der SPD beigetreten war. Seine Wahl war sozusagen der Probelauf für die im Herbst 1969 folgende Koalitionsbildung.
Innenpolitisch wollten wir mehr »Demokratie wagen« und endlich die beschwiegenen und verdrängten Erblasten aus der NS-Zeit aufarbeiten und ins öffentliche Bewusstsein tragen. Außenpolitisch wollten wir uns bemühen, einen Entspannungs- und Verständigungsprozess mit den osteuropäischen Staaten im sowjetischen Machtbereich in Gang zu bringen, so wie ihn 1963 der
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