Und dennoch
landespolitischen Ebene befand ich mich im Milieu eines klerikal-konservativen Staatspartei, der ich als junge Protestantin natürlich unterlegen war. Auf der zweiten Ebene, der Bundesebene, lernte ich im Rahmen der Parteiarbeit, in Ausschüssen und Gremien, Konrad Adenauers Aufstieg und später seinen langsamen Abstieg kennen und bekam die erschreckende bundesrepublikanische Restaurationszeit mit. So sehr ich die Versöhnungspolitik Adenauers mit den westlichen Nachbarn unterstützte, umso mehr opponierte ich gegen die Wiederbewaffnung und vor allem gegen die offenkundige Verschleppung der Umsetzung des Gleichberechtigungsgebots von Mann und Frau in der Gesetzgebung.
Mein Hauptwirkungsfeld aber war der Landtag, der von der allmächtigen CSU-Fraktion und einem Prälaten als Fraktionsvorsitzenden beherrscht war. Ihre Abgeordneten waren Ludwig-Thoma-Figuren: Bauern, Klerikale, verängstigte Mitläufer und re-christianisierte Nazis. Da gab es kein Pardon, vor allem nicht gegenüber einer Frau.
Eigentlich hatte ich ständig schwere Zeiten und einen kaum erträglichen Stand im »Hohen Haus«. Berge von Landtagsprotokollen haben das festgehalten, samt Zwischenrufen und ablehnenden Voten. Ein fester Ausschusssitz wurde mir verweigert, desgleichen ein Arbeitsplatz. Einzig gestand man mir ein kleines Schließfach für Landtagsdrucksachen zu. Erst ab 1954 wurden die Bedingungen besser.
Zustimmung und Rückhalt erhielt ich über die Jahre dann mehr und mehr aus der Öffentlichkeit, von Frauen und Lehrern,
von Universitätsprofessoren und Mitgliedern der Evangelischen Kirche, die mich unterstützten und meine Wiederwahl in den Landtag durch ihre Zweitstimme sicherten.
Pluspunkt: bürgerschaftliches Engagement
Mit Beginn der sechziger Jahren lehnten sich verstärkt Bürger gegen staatliche oder kommunale Entscheidungen auf, zum Beispiel bei städteplanerischen Fragen und der Verkehrssicherheit, später was den Bau von Atomkraftwerken betraf und zunehmend auch bei Umweltangelegenheiten. Diese Initiativen waren zwar anfangs nicht besonders gern gesehen und oft heftigen bürokratischen Schikanen ausgesetzt, heute aber gehören sie zu den Selbstverständlichkeiten einer aktiven Bürgergesellschaft, die sich als Ventil des Bürgerwillens oder als Korrektiv unerwünschter Mammutprojekte immer offensiver zu Wort melden.
Den ersten Vorläufer eines bundesweiten Bürgerprotests gab es bereits 1957. Er richtete sich gegen die Versuche des damaligen Verteidigungsministers Franz Josef Strauß, eine atomare Aufrüstung der Bundeswehr durchzusetzen. An diesem ersten Bürgerprotest habe ich aktiv teilgenommen. Da stand ich in München einige Male zusammen mit Erich Kästner »Mahnwache«, zumeist im strömenden Regen, verteilte Handzettel und hielt als studierte Chemikerin flammende Reden über nukleare Gefahren. Wir hatten Erfolg, das Projekt scheiterte, aber wir hatten auch Ärger wegen der damals ungewohnten Einmischung in brisante Staatsangelegenheiten, von denen wir, das Volk, angeblich nichts verstanden.
Das war aber nur der Anfang politischer Protestbewegungen. Spektakulär war – abgesehen von den jahrelangen Demonstrationen gegen den NATO-Doppelbeschluss Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre – der Fall Wackersdorf in der Oberpfalz, wo ab 1985 jahrelang Samstagsdemonstrationen schließlich
auch zur Aufgabe des Vorhabens führten, an diesem Standort eine atomare Wiederaufbereitungsanlage zu bauen.
Der Bürgeraufstand 2010 und 2011 gegen den Abriss des denkmalgeschützten Stuttgarter Bahnhofs ist ein weiteres Beispiel, dass die einst ohnmächtige Zivilgesellschaft neben Legislative, Exekutive und Judikative zu einer Art »vierten Gewalt« im Staate heranwächst, und es an der Zeit ist, dieser Entwicklung einen bundesgesetzlichen Rahmen zu geben.
Am erfolgreichsten waren die bayerischen Bürger im Gebrauch von Volksbegehren und Volksentscheiden gemäß Artikel 74 der Bayerischen Verfassung. Ich erprobte es damit erstmals 1966. Heute ist es unvorstellbar, wie viel Energie, Zeit und Fantasie die Durchführung eines beinahe handgestrickten Volksbegehrens erforderte.
Zunächst hatte ich mich im Landtag in nicht enden wollenden Bemühungen und Kämpfen um die Entkonfessionalisierung von Schulen bemüht. Bis in die Mitte der sechziger Jahre existierten in Bayern etwa achttausend einklassige, zumeist katholische Volksschulen. Deshalb lag der Schwerpunkt meines Einsatzes auf einer umfassenden Volksschulreform mit Hilfe eines
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