Und der Herr sei ihnen gnädig
hätte sie ewig halten können. »Gute Nacht, mein Mäuschen. Träum süß.«
Widerstrebend stand ich auf und legte sie zurück. Er griff nach seinem Tablett und führte mich in das Schwesternzimmer neben der Säuglingsstation, damit ich mich von meiner Schutzkleidung befreien konnte. Nachdem ich den Mundschutz und die Haube abgenommen hatte, zog ich die Nadeln aus meinem Haar und schüttelte es mit ein wenig mehr Dramatik als eigentlich nötig aus. Dann begann ich mein Papieroutfit abzulegen. Erst die Schuhüberzüge, dann die Hose, wobei ich mir ziemlich linkisch vorkam. Diese Pseudoentblätterung vor den Augen eines Fremden war mir peinlich.
Als ich versuchte, mir den Kittel über den Kopf zu ziehen, stellte ich fest, dass er am Rücken zugebunden war. Ich griff nach hinten, um die Bänder aufzuziehen, hatte aber Probleme, die Knoten zu lösen.
Hilfesuchend sah ich zu meinem Begleiter und ertappte ihn dabei, wie er mich anstarrte. Er wandte sofort den Blick ab, und seine Hautfarbe wurde noch eine Spur dunkler. Inzwischen hatte er den Mundschutz entfernt, sodass ich den Rest seines Gesichts sehen konnte - eine Adlernase, einen üppigen Mund und ein markantes Kinn. Verlegen blickte er über mich hinweg. »Brauchen Sie Hilfe?« »Das wäre nett.«
Er machte sich unter meiner langen Mähne zu schaffen und streifte mit den Fingerspitzen meinen Rücken, als er die verknoteten Bänder löste. Ich empfand seine Berührung wie einen elektrischen Schlag, und einen Moment lang hatte ich das Gefühl, unter seinen Händen zu erschaudern. Falls dem aber tatsächlich so war, kommentierte er es nicht.
»Danke.«
»Gern geschehen.«
Ich schlüpfte aus dem Kittel, zog die Gummihandschuhe aus und griff nach der am Boden liegenden Hose. Er betätigte für mich das Pedal eines Mülleimers, und ich warf die Sachen hinein.
»Herzlichen Dank«, sagte ich.
Seine Augen fixierten mich einen Moment. »Ich bringe Sie noch zum Aufzug.«
Wieder spürte ich, wie ich rot wurde. »Das ist wirklich nicht nötig.«
»Ich fürchte, mir bleibt nichts anderes übrig«, erklärte er lächelnd. »Ich bekomme sonst Ärger mit Marnie.«
»Irgendwas sagt mir, dass Sie Marnie durchaus gewachsen sind.« »So, glauben Sie?« »Ich hab bei solchen Dingen einen sechsten Sinn.« »Und wie funktioniert der?« »Das lässt sich nicht beschreiben.« »So ähnlich wie weibliche Intuition?« »Eher polizeiliche Intuition.«
»Wenn eine Frau für die Polizei arbeitet, verdoppelt sich dann ihre Intuition?«
»An guten Tagen vervierfacht sie sich sogar.« Lieber Himmel, nun hatten wir doch tatsächlich angefangen, miteinander zu flirten. Einen Moment lang schwiegen wir, hielten dabei aber viel länger Blickkontakt, als es Sitte und Anstand erlaubten. Schließlich brach ich den Bann. »Es ist schon spät. Ich sollte jetzt gehen. «
Er stand zwischen mir und der Tür, machte aber keine Anstalten, sich von der Stelle zu rühren. »Verraten Sie mir Ihren Namen?« »Meinem Namen?« »Bitte.« »Cindy.«
»Es hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen, Cindy.« Wieder lächelte er. Erst jetzt fiel mir auf, welch starken Kontrast seine großen, geraden weißen Zähne zu seiner dunklen Haut bildeten. »Ich heiße Yaakov.«
»Ich weiß. Das habe ich schon auf Ihrem Namensschild gelesen.« Sofort wurde mir bewusst, wie das klang. Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken. Ich war seit einer Ewigkeit nicht mehr mit einem Mann allein gewesen und hatte ganz vergessen, wie sich dieses Knistern anfühlte und wie man damit umging. »Ihr Name ist mir aufgefallen, weil mein Stiefbruder auch so heißt.«
Sein Lächeln wurde noch eine Spur herzlicher. »Sie sind Jüdin?« »Ja.«
Er deutete auf sich. »Dann haben wir ja schon mal was gemeinsam.«
Nun war es an mir zu lachen. »Sie sind Jude}«
»Ich vergesse immer, dass ihr Amerikaner das ungewöhnlich findet. In Israel ist das gar nichts Besonderes, weil es dort viele von uns gibt. Ich bin ein äthiopischer Jude. Um genau zu sein, nicht nur Jude, sondern auch ein qes. Übersetzt heißt das Kohen. Wissen Sie, was das ist?«
»Ja, ein jüdischer Priester. Meine Stieffamilie ist sehr religiös.« »Ihre Stieffamilie?« »Die Familie meines Vaters. Aber ich möchte Sie jetzt nicht länger von der Arbeit abhalten. Wir sollten wirklich gehen.« »Ja, das sollten wir. Haben Sie einen Freund?« »Sie sind sehr direkt.«
»Ich würde es eher neugierig nennen. Sie brauchen mir darauf natürlich keine Antwort zu geben.«
Was ich
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