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Und der Herr sei ihnen gnädig

Und der Herr sei ihnen gnädig

Titel: Und der Herr sei ihnen gnädig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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auch nicht tat. Er lächelte mich an. »Sobald ich das Tablett abgegeben habe, mache ich eine Pause. Hätten Sie Lust, in unserer Cafeteria einen Kaffee mit mir zu trinken?«
    Das war ein völlig harmloser Vorschlag. Viel unproblematischer als ein richtiges Rendezvous.
    Mir wurde plötzlich klar, wie lange ich schon kein richtiges Rendezvous mehr gehabt hatte. Es fiel mir grundsätzlich schwer, anderen Menschen zu vertrauen. Männern zu vertrauen war für mich ein Ding der Unmöglichkeit, aber wer konnte mir das nach einer so schrecklichen Erfahrung schon verdenken? Ironischerweise machte es mir Yaakovs dunkle Hautfarbe leichter. Alle Typen, die ich hasste und fürchtete, waren Weiße gewesen. »Kommt darauf an, wie lange Sie Zeit haben«, erwiderte ich.
    »In der Regel fünf bis zehn Minuten.«
    In wie viel Schwierigkeiten konnte ich in zehn Minuten geraten? Ich zuckte mit den Schultern. »Okay.«
    Er grinste übers ganze Gesicht. Da er ein Tablett trug, öffnete ich die Tür für ihn, aber statt vorauszugehen, benutzte er seine Schulter, um sie für mich aufzuhalten. Nun, da er direkt neben mir stand, stellte ich fest, dass er gut fünfzehn Zentimeter größer war als ich, also knapp eins neunzig.
    »Nach Ihnen«, sagte er.
    »Tun Sie das aus Höflichkeit, oder haben Sie Angst, dass ich hinter Ihrem Rücken etwas anstellen könnte?«
    »Ich arbeite an meinen Manieren.« Er ließ die Tür hinter uns zufallen. »Wir Isrealis haben den Ruf, unhöflich zu sein. Das ist nicht ganz unbegründet, aber nur, weil wir zu ehrlich sind.« Er lächelte. »Direkt und unverblümt.« Während wir den Gang entlanggingen, sprach er weiter: »Sie können mich übrigens Koby nennen... wie Kobe Bryant. Allerdings schreibe ich es mit einem y, nicht mit einem e.«
    »Sie sehen sogar ein bisschen aus wie Kobe Bryant.« Lieber Himmel, was ist bloß mit mir los? Ich kam mir vor wie ein dummes Schulmädchen. »Aber das haben Sie wahrscheinlich schon öfter gehört.«
    »Ja. Seltsamerweise sagen mir die Leute das immer erst, nachdem ich meinen Namen genannt habe. Vor allem hier in L. A. Sie hören den Namen Koby, sehen einen großen dunkelhäutigen Mann, und schon stellen sie ganz automatisch diese eigenartige Verbindung her. In Wirklichkeit sehe ich ihm überhaupt nicht ähnlich.«
    Seine Worte verschafften mir Gelegenheit, ihn genau zu betrachten. »Ich glaube, es sind die Wangenknochen«, sagte ich schließlich. »Vielleicht auch die Nase.«
    »Die berühmte Haile-Selassie-Nase.«
    »Sie sind beide groß, schlank und dunkelhäutig, aber das war's dann auch schon. Seltsam, wie schnell wir Menschen Verbindungen zu etwas uns Vertrautem herstellen.« Lächelnd fügte ich hinzu: »Sein kleiner Kinnbart fehlt Ihnen ja auch.«
    »Es ist lustig, dass Sie das sagen. Letztes Jahr hatte ich nämlich mal die Idee, mir einen Bart wachsen zu lassen. Nach etwa drei Wochen habe ich es mir dann anders überlegt und ihn wieder ab rasiert - es war unter dem Mundschutz einfach zu warm. Ich hab ihn etappenweise abrasiert, bis am Ende nur noch ein kleiner Kinnbart übrig war. Eines Nachmittags gehe ich nach meiner Schicht rüber in die Onkologie, um einen Freund zu besuchen, der dort arbeitet... bei den krebskranken Kindern. Ich komme sonst nur ganz selten in diesen Bereich des Hauses, deswegen ist mein Gesicht den Kindern nicht wirklich vertraut. Außerdem war ich in Zivil und trug Stiefel mit dicken Absätzen, sodass ich für die Kinder extrem groß gewirkt haben muss. Ich glaube, ich hatte auch noch eine Sonnenbrille an.«
    »Und einen großen Diamantohrring?«
    »Nein, keinen Diamantohrring.« Er lächelte. »Plötzlich hörte ich meinen Namen,
    Koby, und drehte mich um. Vor mir stand ein etwa zwölfjähriger Junge - völlig kahl von der Chemotherapie. Er trug eine Augenklappe, wahrscheinlich hatte er durch die Krankheit ein Auge verloren und sah nicht besonders gut. Zu der Zeit kämpften die Lakers gerade zum dritten Mal um die Meisterschaft, sodass alle bloß Basketball im Kopf hatten.« Inzwischen hatten wir die Aufzüge erreicht. »Wir müssen in den Keller«, erklärte er.
    Ich drückte auf den Knopf mit dem Pfeil nach unten.
    »Ich hörte also meinen Namen, drehte mich um und sah den kleinen Jungen freundlich an. Dreißig Sekunden später war ich von ungefähr zwanzig Kindern umringt, die alle ein Autogramm wollten. Meine einzige Erfahrung in Sachen Starruhm.«
    »Waren die Kinder enttäuscht, als sie merkten, dass Sie der falsche Koby waren?«
    Er

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