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Und der Herr sei ihnen gnädig

Und der Herr sei ihnen gnädig

Titel: Und der Herr sei ihnen gnädig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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halben Jahr alles hingeschmissen. »Hatten Sie keine Schwierigkeiten, in Ihren alten Job zurückzukehren?« »Doch, weil nämlich Marnie in der Zwischenzeit auf meine alte Stelle befördert worden war. Ich sagte ihnen, dass ich damit kein Problem habe, solange sie mir mein Gehalt nicht kürzen. Sie ließen sich darauf ein, weil gutes Pflegepersonal immer knapp ist, vor allem, wenn man akademische Abschlüsse und Spezialgebiete vorweisen kann. Ich bin für die Pflege auf der Intensivstation ausgebildet. Auf die Pädiatrie habe ich mich spezialisiert, weil ich es schön finde, Kindern zu helfen. Damals in Äthiopien wurde nichts für die Kinder und Babys getan. Wir waren die Letzten, die etwas zu essen bekamen, und die Ersten, die starben.«
    »Das ist ja schrecklich!«, rief ich aus.
    »Es ist grausam, aber anders geht es nicht.« Seine Augen wirkten plötzlich dunkler. »Wenn die Eltern verhungern, wer soll sich dann noch um die Kinder kümmern? Wer soll arbeiten? Wenn die Mutter nichts zu essen bekommt, wie soll sie dann ein Baby stillen? Man braucht arbeitsfähige Erwachsene, um eine Familie zu erhalten.«
    »Ich weiß nicht, Koby. Das verstößt gegen alles, was mir beigebracht wurde. Allerdings habe ich nie in einer wirtschaftlichen Situation gelebt, in der es ums nackte Überleben ging.«
    »Baruch Hashem«, sagte Koby.
    Gegen meinen Willen musste ich lachen. Baruch Hashem war ein Ausdruck, den Rina ständig benutzte. Es hieß »Gott sei Dank« auf Hebräisch. Diese Worte aus dem Mund eines Schwarzen zu hören war einfach zu seltsam.
    Koby lächelte. »Sie wissen, was das heißt?«
    »Ja. Meine Hebräischkenntnisse halten sich zwar in Grenzen, aber eine totale Ignorantin bin ich nun auch wieder nicht.« Ich nahm einen Schluck von meinem Kaffee und verzog das Gesicht, weil ich ganz vergessen hatte, wie schlecht er war. »Arbeiten Sie gern hier?«
    »Im Mid-City Peds, meinen Sie?«
    »Ja.«
    »Ja, es ist ein sehr, sehr gutes Krankenhaus. Und den Ärzten liegen die Kinder wirklich am Herzen. Warum sonst würden sie in einem Hospital mitten in der Stadt arbeiten? Ich persönlich liebe am meisten die Säuglinge, weil sie für mich das Leben verkörpern. Ich liebe das Leben. Es ist leicht, das Leben zu lieben, wenn man so viel Tod gesehen hat.«
    »Das verstehe ich. Es muss schön sein, sich um so unschuldige Wesen kümmern zu können, vor allem, wenn man die schlimmsten Seiten der menschlichen Natur kennen gelernt hat.« Ich überlegte einen Moment. »Ich bin allerdings auch schon Zeugin vieler Heldentaten geworden. In meinem Job erlebt man beide Extreme. Heute Nacht zum Beispiel. Jemand wirft ein neugeborenes Baby einfach in den Müll, wo es aller Wahrscheinlichkeit nach sterben wird. Dann hört ein Mann zufällig einen Schrei, und ehe man sich's versieht, ist die Kleine gerettet und wohlauf.«
    »Gott hatte andere Pläne mit ihr. Ich hoffe, Sie finden die Mutter. Nach der Geburt braucht eine Frau Beistand.«
    »Ja, das hoffe ich auch. Das Ganze ist so bedauerlich, vor allem, weil es andere Möglichkeiten gegeben hätte. Wenn sie das Kind vor einem Polizeirevier oder einem Krankenhaus abgelegt hätte, wäre sie nicht straffällig geworden. Und selbst jetzt kann sie einer gerichtlichen Verfolgung noch entgehen, wenn sie sich innerhalb von zweiundsiebzig Stunden meldet. Wir haben Gesetze, die Frauen in Not schützen.« »Bestimmt kennt sie die Gesetzeslage nicht. Oder sie hatte zu große Angst.« Sein Piepser ging. Er warf einen Blick auf die Nummer. »Ich muss zurück auf die Station. Aber ich würde Sie gern wiedersehen, Cindy. Wäre das möglich?«
    Ich sah ihn an und rechnete mir anhand dessen, was er erzählt hatte, rasch sein ungefähres Alter aus. Er wirkte jünger als zweiunddreißig, aber die Leute behaupteten auch, ich sähe jünger aus als achtundzwanzig. »An was hatten Sie denn gedacht?«
    »Ein Abendessen wäre schön.«
    »Wann?«
    »Machen Sie einen Vorschlag.«
    Im Geiste blätterte ich meinen Terminkalender durch. »Freitagabend?«
    Er verzog das Gesicht. »Ich halte mich zwar nicht streng an die Sabbat-Vorschriften, beispielsweise fahre ich durchaus mit dem Auto, was meinem Vater sehr missfällt, aber für gewöhnlich gehe ich freitags nicht aus, höchstens vielleicht zu einem SabbatEssen.«
    »Verstehe. An einem anderen Abend geht es bei mir schlecht, weil ich Spätschicht habe. Wie wär's mit einem Mittagessen?«
    »Gern. Was halten Sie von Mittwoch? Da fange ich erst um sechs Uhr abends mit dem

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