Und der Herr sei ihnen gnädig
Straße bewegen. Das Geld, das Sie heute noch verdienen, wird gerade für die Kaution reichen.«
Sie seufzte. »Also gut, ich geh ja schon.«
Sobald ich weg war, würde sie auf dem Absatz kehrtmachen.
»Wie geht es Ihrem Sohn?«, fragte ich.
Diesmal war ihr Lächeln echt. »Er wächst und gedeiht. Ein richtiger Wonneproppen, genau wie sein Dad.«
Ihr Zuhälter, Burton, hatte ihr ein Kind gemacht. Zusätzlich besaß er noch sechs andere von vier verschiedenen Frauen. Sie lebten alle in einer Art Großfamilie zusammen, was für die Mädchen in gewisser Hinsicht von Vorteil war. Während sie ihren Körper zu Markte trugen, passte zu Hause jemand auf die Kinder auf. »Süße, Sie sollten jetzt wirklich von der Straße verschwinden.«
»Ich hab doch gesagt, dass ich gehe.«
Seufzend fuhr ich weiter. An der Ecke La Cienaga Boulevard und Sunset bog ich nach links ab, den steilen Hügel hinunter.
Ich wohnte in Culver City, einem kleinen Vorort südlich von L. A. Dort gab es noch kostenlose Parkplätze und viele kleine Geschäfte. Ich konnte meine Einkäufe zu Fuß erledigen und bekam so ziemlich alles, angefangen von reduzierten Klamotten in den diversen Designer-Outlets bis hin zu frischen exotischen Gewürzen in den kleinen indischen Läden. Der Ort beherbergte eine bunte Mischung verschiedenster Rassen.
Eine solche Vielfalt sorgte auf beruhigende Weise dafür, dass sich keine dieser Rassen einbildete, die Welt zu beherrschen.
Vielleicht war das naiv, aber für mich machte genau das Amerika aus.
5
Er war von Dunkelheit umgeben, doch hauptsächlich machte ihm ein Gefühl von Leere zu schaffen, das ihn in kalten Schweiß ausbrechen ließ.
Vier Uhr morgens, und er war allein. Wo war sie hin?
Nur mit einer Pyjamahose bekleidet, sprang Decker aus dem Bett. Er fand Rina am Küchentisch. »Fehlt dir was?«
»Nein, es ist alles bestens.«
»Wann bist du aufgestanden?«
»Ehrlich gesagt bin ich gar nicht ins Bett gegangen.«
Sie saß über Dutzende von kopierten Seiten und Schwarzweißaufnahmen gebeugt. Im ersten Moment hatte ihn die Küchenlampe geblendet, aber als ihm nun klar wurde, was seine Frau sich da ansah, riss er die Augen vor Staunen weit auf.
»Lieber Himmel, was um alles in der Welt...?«
Rina stand auf und zog den Frotteemantel enger um ihren Körper. »Du bibberst ja«, sagte sie zu ihrem Mann. »Geh und hol dir einen Bademantel.«
Ohne auf ihre Worte zu achten, griff Decker nach einem der Schwarzweißfotos. Auf dem Bild war der Kopf einer Frau zu erkennen. Die Augen waren geschlossen, der Mund leicht geöffnet, das Haar aus dem Gesicht gestrichen. Er schätzte die Frau auf etwa vierzig. Er hatte genug Fotos von Leichen gesehen, um zu wissen, was er da betrachtete. »Rina, wer ist das?!«
Sie nahm ihm das Foto aus der Hand und legte es zurück auf den Tisch. »Meine Großmutter.« Sie schlang die Arme um ihren Mann und biss sanft in seinen Schnurrbart. »Nur für den Fall, dass du mich vorhin nicht gehört hast - du frierst. Zieh dir einen Bademantel an.« Sie küsste ihn auf die Nase. »Oder noch besser, geh wieder ins Bett.«
Schlaf stand für ihn definitiv nicht auf dem Programm. Er betrachtete seine Frau, ihre bleiche Haut und die ausdrucksvollen Augen, die in dem schummrigen Licht wie Saphire funkelten. Ihr rabenschwarzes Haar wirkte zerzaust. Es war schulterlang - länger, als er es in Erinnerung gehabt hatte. Er bekam ihre Lockenpracht nur ganz selten offen zu sehen. Als religiöse Frau trug Rina es meist hochgesteckt oder zu einem Zopf geflochten, wobei sie den Kopf oben mit einem Tuch bedeckte. Er versuchte es mit einem viel sagenden Blick. »Ich gehe nur wieder ins Bett, wenn du mitkommst.«
Ihr Lächeln wirkte müde. »Klingt gut. Lass mich nur noch ein bisschen aufräumen.« Sein Blick wanderte zurück zum Tisch. Inmitten des Durcheinanders aus von Hand beschriebenen Seiten und Fotografien lag ein deutsch-englisches Wörterbuch. Er spürte, wie sein Gehirn in Gang kam. »So«, sagte er, »jetzt bin ich wach. Du hast mich neugierig gemacht. Worum geht es bei der ganzen Sache?«
»Möchtest du die ausführlichen Informationen vorher oder nachher hören?«
»Nachher. Du weckst in mir große Hoffnungen, Frau.«
»Ich habe nicht die Absicht, sie zu enttäuschen. Und nun geh. Ich komm in einer Minute nach.«
»Ich werde mir inzwischen die Zähne putzen.«
»Mach das. Saubere Männer finde ich besonders sexy.« Sie gab ihm einen Klaps auf den Hintern. »Ab mit dir.«
»Soll ich mich
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