Und der Herr sei ihnen gnädig
sie zu verstecken. Den weißen Mantel habe ich bloß an, weil ich gerade eine Gruppe von Pflegeschülern aus einem der Colleges unterrichtet habe.« Er warf einen Blick auf die Uhr. »Bis vor etwa einer Viertelstunde.«
»So spät noch?«
»Abendseminare... ein Teil des Lehrplans. Ich nehme sie mit auf meine Runde, damit sie einen Bezug zur Praxis kriegen. Was ihnen letztendlich aber nur Angst macht.« Er verdrehte die Augen. »Das Krankenhaus legt Wert darauf, dass wir statt unseres üblichen Outfits einen weißen Mantel tragen, wenn wir unterrichten. Es ist lächerlich - erst die Pflegerklamotten, dann den Mantel, dann wieder die Pflegersachen. Ich ziehe mich so oft um, dass ich mir manchmal vorkomme wie ein Model.«
Ich lachte.
»Sie lächeln so nett. Was steht denn bei Ihnen heute noch auf dem Programm?«
»Ich komme gerade vom Dienst und bin auf dem Weg nach Hause. Ich habe hier nur einen Zwischenstopp eingelegt.«
»Wie schade, dass ich noch bis sechs Uhr morgens arbeiten muss.«
»Klappt es dann überhaupt mit unserem Essen morgen?« »Ja, sicher. Bitte sagen Sie mir nicht ab.« »Natürlich nicht.« Leiser fügte ich hinzu: »Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten.« »Nur zu«, erwiderte er.
»Bei dem kleinen Mädchen, das ich gebracht habe, ist doch bestimmt eine Blutuntersuchung durchgeführt worden, oder?«
»Sie waren selbst dabei, als ich ihr das Blut abgenommen habe. Denken Sie an etwas Bestimmtes?«
»Lässt das Ergebnis der Untersuchung irgendwelche Rückschlüsse auf ihre Hautfarbe zu? Ich versuche gerade, ihre Mutter zu finden, und der einzige Anhaltspunkt, den ich habe, deutete auf eine blonde Weiße hin. Für mich hat die Kleine aber nicht weiß ausgesehen.«
»Das ist sie auch nicht, und ich brauche keine Blutuntersuchung, um Ihnen zu sagen, dass sie eine Mischung aus Schwarz und Weiß ist.«
»Warum nicht hispanisch?«
»Der Hautton sieht anders aus, und die Gesichtszüge deuten auch nicht darauf hin. Hispanische Babys sehen einfach nicht so aus wie sie. Die dickeren Lippen, die großen Nasenlöcher, die breite Stirn - das alles weist auf afrikanisches Blut hin, auch wenn die Merkmale bei gemischtrassigen Kindern nicht so stark ausgeprägt sind. Meine Geschwister sind auch gemischtrassig. Ich weiß, wie solche Kinder aussehen.«
»Wenn ihre Mutter also eine Weiße ist...«
»Dann heißt das, dass sie einen schwarzen Vater hat.«
»Danke, Koby. Sie waren mir eine große Hilfe.«
Sein Lächeln wirkte ein wenig unsicher, als hätte er noch etwas auf dem Herzen.
»Was?«, fragte ich. »Sie hätten mir das alles eigentlich nicht sagen dürfen? Keine Angst, ich werde Sie nicht verraten.«
Koby blickte sich kurz um und winkte mich dann in ein leeres Krankenzimmer. Er zog die Tür hinter uns zu. Wir waren allein, aber diesmal knisterte es nicht zwischen uns, er war ganz geschäftsmäßig. »Die Kleine. Sie hat ausgeprägte spatelförmige Daumen. Das ist mir sofort aufgefallen.«
»Ich verstehe nicht recht... «
»Ihre Daumen sind kurz und sehen aus wie Löffel. Und ihre Augen... Bei Neugeborenen ist es schwer zu sagen, aber ich bilde mir ein, dass sie Epikanthusfalten hat.«
»Und das heißt?«
»Es muss gar nichts heißen. Wir werden es erst mit Sicherheit wissen, wenn die Chromosomen untersucht worden sind.« »Die Chromosomen?«
»Möglicherweise hat die Kleine das Down-Syndrom.«
Mir rutschte das Herz in die Hose. »Down-Syndrom?«
»»Möglicherweise.« Er lächelte traurig. »Ich kann mich auch täuschen, Cindy.«
»Warum habe ich das dumpfe Gefühl, dass das nicht der Fall sein wird?«
»Ich verstehe, dass Sie das traurig macht, aber ich sehe es anders. Solche Kinder unterscheiden sich zwar von normalen Kindern, aber sie sind im Grunde gesund.« Er legte eine Hand auf meine Schulter. »Hier gibt es so viel Krankheit. Das Leben hat all diesen Familien übel mitgespielt. Die Kleine braucht trotzdem Liebe. Wir werden hoffentlich ein Zuhause für sie finden, das ihren besonderen Bedürfnissen gerecht wird. Ich sage Ihnen das nur, weil Sie nach den Eltern suchen. Wenn ich Recht habe - was nicht unbedingt der Fall sein muss -, dann sollten Sie diese inoffiziellen Informationen bei Ihren Nachforschungen berücksichtigen.«
Erst jetzt begriff ich, warum er sich über die Vorschriften hinwegsetzte - nicht, um mich traurig zu machen, sondern um mir bei meiner Suche zu helfen. Die Eltern sahen vielleicht ganz normal aus, aber es war auch möglich, dass ein Elternteil
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