Und der Herr sei ihnen gnädig
Lässigkeit erledigt, aber mittlerweile konnte er sich auf nichts mehr konzentrieren, und die Bilder von Blut und Tod waren da keineswegs hilfreich.
Er nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen, aber das verschaffte ihm auch keine Erleichterung. Rina hatte im Gästezimmer ein gemütliches Büro für ihn eingerichtet. Tagsüber fiel sein Blick auf die Obstbäume draußen. Jetzt war es dunkel, aber da nur wenige Meter vom Zimmer entfernt ein Jasminbaum in voller Blüte stand, wehte durch die Ritzen der Jalousien ein süßer Duft herein. In der friedlichen Atmosphäre seiner Zufluchtsstätte konnte er die kniffligeren Fälle in Ruhe durchgehen und so stagnierenden Ermittlungen neues Leben einhauchen.
Er war in der Lage, seinen Job und sein Gleichgewicht zu behalten, weil er doppelt so hart arbeitete, wie er eigentlich sollte. Er musste da durch, ihm blieb keine andere Wahl, seine Familie benötigte das Geld. Rinas Geständnis war hilfreich gewesen, aber Decker wusste, dass sie ihm noch nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Nach und nach würde alles herauskommen.
»Wie lange brauchst du noch?«
Decker riss den Kopf hoch. Rina trug schwarze Joggingsachen. Ohne Make-up und mit offenem Haar wäre sie auch als eine Frau Mitte zwanzig durchgegangen.
»Wie spät ist es denn schon?«, fragte er.
»Halb zwölf.«
»Hab ich gesagt, dass ich um elf komme?« »Ja, das hast du.« »Tut mir Leid.«
»Schon gut.« Rina stellte sich hinter ihn und begann seinen Nacken zu massieren. »Du wirkst angespannt. Vielleicht hilft das ein bisschen.«
»O Mann, das fühlt sich gut an. Welchen Hintergedanken hast du dabei?«
»Ich hab noch eine Akte, die du dir ansehen musst.« »Jetzt gleich?«
»Es dauert nur fünf Minuten.« »Heutzutage dauert nichts mehr nur fünf Minuten.« Rina gab ihm einen Klaps auf den Rücken. »Gott sei Dank. Während du den Schreibtisch freiräumst, mache ich Tee.« »Ja, Ma'am. Kriege ich auch eine Tasse?« »Klar.«
Lächelnd sah er ihr nach. Als sie aus der Küche zurückkam, war die Schreibtischplatte immerhin schon zu sehen. Rina trug ein Tablett mit einer Kanne Tee, zwei großen Tassen und einem Aktenordner. Sie stellte das Tablett ab und zog sich einen Stuhl heran.
»Wie wär's, wenn du den Tee einschenkst, während ich dir erkläre, was ich bisher herausgefunden habe?«
»Bist du eigentlich jemals nicht effektiv, Rina?«
»Effektivität gehört zu meinem Job. Ich sehe dich noch immer nicht einschenken.« Decker griff nach der dampfenden Kanne und füllte die beiden Tassen. »Ein Stück Zucker oder zwei?«
Sie küsste ihn auf die Wange. »Du bist wirklich süß. Aber du weißt ja, dass ich meinen Tee ohne trinke.« Sie zog drei Stapel maschinengeschriebener Seiten heraus.
»Vielleicht möchtest du dir Notizen machen.«
Lachend hielt Decker einen Stift hoch. »Ich bin bereit, Frau Professor.«
»Sehr witzig. Auf diesem Blatt stehen die Namen aller Leute, die in der Akte vorkommen.«
»Wer hat die Akte für dich übersetzt?«
»Laurie Manheims Schwiegermutter. Aber wir haben nicht alles geschafft. Kennst du Laurie? Sie ist die Frau von Rabbi Manheim. «
»Ich kenne weder Laurie noch Rabbi Manheim.«
»Er unterrichtet an der Highschool. Yonkie hatte ihn in der zehnten Klasse. Ich kenne ihn mittlerweile ziemlich gut, weil Yonkie in seinem Unterricht Probleme hatte.« »Inzwischen ist das vorbei. Der Junge hat seinen Weg gefunden.«
»Das jüdische Leben liegt ihm eben.«
»Eher das Collegeleben, Rina. Aber wir kommen vom Thema ab.«
»Allerdings.« Rina lächelte. »Nach allem, was Lauries Schwiegermutter gesagt hat, sieht es so aus, als wäre der Typ, der in der Liste ganz oben steht - Rudolf Kalmer -, in dem Fall der Hauptermittler gewesen. Aber dieser andere Typ - Heinrich Messersmit - hatte auch etwas damit zu tun.«
»Partner?«
»Keine Ahnung. Es sieht fast so aus, als hätten beide unabhängig voneinander daran gearbeitet. Deswegen die unterschiedlichen Handschriften.«
»Wer ist der Dritte auf der Liste - Axel Berg?«
»Der kam ein bisschen später ins Spiel. Berg hatte an zwei anderen ungelösten Mordfällen gearbeitet, und wir glauben, dass Kalmer und Messersmit ihn im Fall meiner Großmutter um Rat fragten. Berg hat später die Ermittlungen übernommen.« »Was waren das für andere Mordfälle?«
»Hier... warte.« Rina blätterte die Seiten ihres übersetzten Textes durch. »Das ist schwer zu sagen, Peter, weil die deutschen Ermittler genau wie ihr hier Abkürzungen
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