Und der Herr sei ihnen gnädig
benutzten. Mrs. Manheim meinte, dass diese Seite hier« - Rina ging die gefaxten Kopien des Originaldokuments durch - »hier, da haben wir es ja. Sie berieten sich mit Berg wegen zwei anderer Frauen - Anna Gross und Mar-lena Durer.« Rina überflog die betreffende Seite. »Hier... dieses Wort - >Tötungsdelikt< - damit meinten sie wohl einen vorsätzlichen Mord. Bei >Totschlag< könnte es sich um einen normalen Mord handeln.«
»Einen normalen Mord?«
Verzweifelt suchte Rina nach den richtigen Worten. »Du weißt schon... wenn eine Person jemanden umbringt, um sich selbst zu verteidigen.«
»Du meinst Notwehr?«
»Ja, genau.« Sie schlug sich gegen die Stirn. »Damit könnte Notwehr gemeint sein. >Tötungsdelikt< bedeutet, dass der Täter seinem Opfer vorsätzlich auflauert.« »Demnach waren diese beiden Frauen, Durer und Gross, also Opfer von vorsätzlichen Morden gewesen.«
»Ja, das vermuten wir.«
»Was heißt das hier? MAK?«
»Wir sind nicht sicher. Mrs. Manheim meint, es könnte sich um eine Abkürzung für >Mordakte< handeln. Siehst du? Vor dem Namen meiner Großmutter steht das auch - MAK Regina Gottlieb.«
Decker betrachete die blauen Augen seiner Frau. »Regina? Dann bist du also nach ihr benannt?« Rina nickte. »Aha.«
»Ich glaube, dass Kalmer und Messersmit wissen wollten, ob der Mord an meiner Großmutter mit den Morden an Durer und Gross in Verbindung stand.«
»Was? Du meinst, wie bei einer Mordserie?«
Rina zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Das ist deine Domäne.«
Während Decker seinen Tee trank, überflog er Rinas übersetzte Seiten. »Ihr habt auch den Autopsiebericht übersetzt.« »Ja. Das war grauenhaft.«
Wieder betrachtete er seine Frau. »Dein Großvater hat zugelassen, dass bei ihr eine Autopsie durchgeführt wurde?«
»Da sie keines natürlichen Todes gestorben war, blieb ihm nichts anderes übrig.«
Er las die Informationen zu ihrer Person: Weiße Jüdin, gut entwickelt, gut genährt, 155 Zentimeter groß, 45 Kilogramm schwer. »Sie erwähnen in diesem Zusammenhang ihre Religion?«
»Das hat mich auch geschockt.« Sie verdrehte die Augen. »Eigentlich wundert es mich, dass sie nicht >jüdische Hündin< geschrieben haben.«
»Aber 1928 war doch noch vor Hitlers Zeit.«
»Wenn man Deutschland als Ganzes betrachtet, hast du Recht. Offiziell ist er erst 1933 an die Macht gekommen. Aber München war eine andere Geschichte. Dort hat er in den frühen Zwanzigern den berühmten Hitler-Putsch durchgeführt.«
»Tut mir Leid. Ich habe in der Geschichtsstunde immer geschlafen.«
»Die Nazis versuchten damals München zu übernehmen, aber der Putsch schlug fehl. Hitler landete im Gefängnis. Dort hat er Mein Kampf geschrieben. Klingt das irgendwie bekannt?«
»Ich habe gewusst, dass Hitler aus Österreich stammte und ein gescheiterter Künstler war. Ansonsten wirst du mir wohl einen Crashkurs in deutscher Vorkriegsgeschichte verpassen müssen.«
»Nicht so wichtig.«
»Doch, Rina, es könnte eine Rolle spielen. Vielleicht war der Mord ein antisemitischer Akt.« Decker sah eine Weile die Blätter durch, bis ihn Rina fragte: »Irgendwas, was deine Theorie erhärten würde?«
»Bis jetzt nicht. Ich werde das alles noch mal ganz genau durchgehen müssen.« Er blätterte ein paar Seiten zurück. »Ja, dieser Axel Berg hat definitiv an mehreren Mordfällen gearbeitet, die alle Frauen betrafen. Und sie hatten den Verdacht, dass deine Großmutter auch in diese Serie gehören könnte. Nur dass die anderen Frauen - Durer und Gross - erdrosselt wurden, während deine Großmutter durch Schläge auf den Hinterkopf starb.« Er klappte die Akte zu und sah Rina an. »Bist du wirklich sicher, dass du das alles wissen möchtest?«
»Ich weiß, dass es seltsam ist, aber die Antwort lautet ja.«
»Das ist nicht seltsam, Rina. Aber du solltest dir darüber im Klaren sein, dass es sich um ziemlich starken Tobak handelt.«
»Schlimmer als die Konzentrationslager kann es nicht sein.«
»Das stimmt, aber auch weniger schreckliche Dinge können einem schwer zusetzen.« Decker versuchte, die Blätter wieder zu einem ordentlichen Stapel zusammenzuschieben. »Ich bin jetzt ein wenig müde, aber morgen werde ich das alles noch mal durchgehen und dich wissen lassen, falls ich zu irgendwelchen Erkenntnissen gelange.« »Danke.«
Decker überlegte einen Moment. »Du solltest den historischen Kontext nicht unterschätzen, Rina. Womöglich wird sich herausstellen, dass der Antisemitismus in
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