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Und der Herr sei ihnen gnädig

Und der Herr sei ihnen gnädig

Titel: Und der Herr sei ihnen gnädig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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und andere ihres Schlages, sogar ihren Zuhälter Burton. Es gab Zeiten, da hätte ich ihn auffliegen lassen können, entschied mich aber dagegen, weil er sich auf mein wiederholtes Drängen hin dazu entschlossen hatte, sein Geschäft nachts einzustellen.
    Ich überlegte auch, was ich zu Russ MacGregor sagen sollte. Würde er meine Hilfe überhaupt wollen? Würde er es der Mühe wert finden, wegen eines sechs Monate zurückliegenden Verbrechens zu ermitteln - eines Verbrechens, das der Polizei nie gemeldet worden war, bei dem es kein brauchbares Beweismaterial gab und die Hauptzeugin ein geistig behindertes Mädchen war, das gerade sein Baby ausgesetzt hatte? Mich selbst hatte der Fall inzwischen so richtig gepackt. Durch unser morgendliches Gespräch mit Sarah und Louise Sanders war meine Neugier geweckt. Plötzlich musste ich daran denken, wie ich das letzte Mal meine Nase in eine Sache gesteckt hatte, die mich nichts anging. Ein Jahr Therapie, und ich schaffte es beinahe schon, eine ganze Sitzung durchzustehen, ohne zusammenzubrechen. So etwas war sehr langwierig. Das Letzte, was ich jetzt brauchte, war ein neues Trauma. Ich sagte mir ständig, dass ich mich an die Spielregeln halten musste. Aber meine alten rebellischen Tendenzen kamen wieder hoch. Was wahrscheinlich bedeutete, dass ich mich auf dem Wege der Besserung befand.
    Wenn ich nicht weiterwusste, war ich überall lieber als zu Hause. Früher hatte ich mich sehr gern in meiner Wohnung aufgehalten, aber inzwischen betrachtete ich sie nur noch als einen Platz zum Schlafen. Ich hätte mir eigentlich etwas Neues suchen sollen, wollte aber keinen neuen Stress in meinem Leben. Also behielt ich die Wohnung, schlief und aß dort und tat so, als wäre alles bestens. Nachdem Dad gegangen war, fühlte ich mich sehr allein. Ich schlüpfte in eine leuchtend blaue Bluse, eine Wollhose und hohe schwarze Stiefel, mit denen ich fast eins achtzig groß war. Nachdem ich noch ein wenig Make-up aufgelegt hatte, setzte ich mich in meinen fünf Jahre alten schwarzen Ford Lexus, ein Geschenk von Dad und Mom. Sie hatten gehofft, dass ein großer Wagen mein Wohlbefinden steigern würde. In Wirklichkeit steigerte er nur meine Benzinrechnung. Trotzdem hatte ich keinen Grund, mich zu beklagen. Mein fahrbarer Untersatz war mit einer Stereoanlage ausgestattet, mit der man Tote aufwecken konnte, und hatte bequeme, ergonomisch geformte Sitze, die nicht nur meinem schmerzenden Rücken, sondern auch meinem angeschlagenen Ego gut taten. Ich sah in den Rückspiegel und warf mich in eine lässige Pose, als könnte mich nichts auf der Welt aus der Ruhe bringen. Ich war schon immer eine gute Schauspielerin gewesen.
    Von meiner Wohnung aus fuhr ich den Beverly Drive in Richtung Norden, vorbei an den grünen Rasenflächen und Blumenbeeten des vorstädtisch wirkenden Beverly Wood und durch das Einkaufsviertel von Beverly Hills, bis ich die sündteuren, protzigen Anwesen von Beverly Hills erreichte. Von dort lenkte ich den Wagen ein Stück weiter in Richtung Norden und bog dann irgendwann in den Sunset ein. In West Hollywood war der Verkehr so dicht, dass es nur langsam voranging. Im Vorbeifahren sah ich, dass vor einem der angesagten Klubs bereits eine lange Menschenschlange stand, und das, obwohl der Schuppen erst in ein paar Stunden öffnete. Ich kam an Boutiquen mit schrägen Klamotten vorbei, an mehreren Theatern und kleinen Restaurants, wo man gleich am Straßenrand essen konnte, eine Menge Geld berappte und viele einsame Seelen traf.
    Als ich in den Hollywood Boulevard einbog, vermied ich es ganz bewusst, nach meinen Kontaktpersonen Ausschau zu halten. Wieso sollte ich mich unnötig in Versuchung führen? Ich öffnete das Schiebedach und genoss die Sonnenwärme auf meiner Haut. Hier, im Herzen des alten Tinseltown, waren jede Menge Fußgänger unterwegs. Touristen beobachteten das Treiben auf der Straße und fotografierten die Paradiesvögel. Scharen von gepiercten Jugendlichen mit stacheligen Haaren stopften sich mit Junkfood voll oder hingen einfach nur herum. Ich entdeckte sogar ein paar Familien, die einen Nachmittagsausflug machten und voller Ehrfurcht die Namen auf den berühmten, mit Sternen übersäten Gehsteigen bewunderten. Ich fuhr am Kodak Theatre vorbei, am Mann's Chinese Theatre, dem El Capitan, den neu errichteten Einkaufszentren, den kleinen alten Souvenirläden, den Tätowierstuben, den nuttigen Dessousshops, den Sexläden und diversen anderen zwielichtigen Adressen,

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