… und der Preis ist dein Leben - Mächtiger als der Tod (German Edition)
er meiner Meinung nach aus allen möglichen orientalischen Ländern stammen, nicht nur aus Indien. Ich meine, haben Sie die Waffe denn wirklich lange genug zu Gesicht bekommen, um erkennen zu können, dass die Symbole Devanagari, also indische Schriftzeichen, waren? Wer weiß, vielleicht spielt Ihnen Ihr Gedächtnis ja nur einen Streich, meine Liebe.“
Enttäuscht nahm Elizabeth das Papier wieder an sich und steckte es weg. „Können Sie mir eventuell einen Experten für orientalische Waffen empfehlen?“
„Nun, zumindest hier kann ich Ihnen weiterhelfen“, sagte Sir Thomas sichtlich erfreut. „Ein guter Freund von mir hat sich dahingehend spezialisiert. Ich werde George beauftragen, Ihnen die Kontaktdaten zukommen zu lassen. Im Moment befindet er zwar auf Geschäftsreise im Ausland, aber soweit ich weiß, sollte er ab nächster Woche wieder erreichbar sein.“
„Vielen Dank, Sir Thomas. Das weiß ich sehr zu schätzen.“
Der alte Herr stemmte beide Hände auf die Tischplatte und erhob sich. „Wollen wir dann?“
Hamiltons Heim war atemberaubend. Die schiere Größe des Hauses reichte schon aus, damit sich Elizabeth klein und unbedeutend vorkam. Noch verstärkt wurde dieser Eindruck jedoch durch das Sammelsurium erlesener Antiquitäten, Reiseandenken und religiöser Kultgegenstände aus aller Herren Länder, die in sämtlichen Räumen ausgestellt waren. In der Bibliothek, die das Ende ihres Rundgangs bildete, teilte sich zum Beispiel eine Hindugottheit den Platz auf einer chinesischen Kommode mit einem gruseligen afrikanischen Fruchtbarkeitsfetisch, und ein fröhlich lachender Jade-Buddha stand gleich neben einer ägyptischen Isis-Statue aus Alabaster.
Elizabeth beugte sich über die bronzene Hindugottheit, um sie sich etwas genauer anzusehen. Die tanzende Figur wurde umschlossen von einem Sonnenrad, das Elizabeth vage an ihr Amulett erinnerte. Bei näherem Hinsehen handelte es sich bei der Figur um eine Göttin mit zehn Armen, einem Halsband aus Totenschädeln und einem Rock aus abgetrennten Armen. Die passt ja doch ganz gut zu dem afrikanischen Fetisch , dachte sie erschaudernd.
„Gefällt sie Ihnen? Das ist Kali, die hinduistische Göttin des Todes und der Erneuerung. Sie ist die Mutter, die das Leben gibt, und auch wieder zurücknimmt.“
„Naja, gefallen … Wissen Sie, für was die Sonne im Hinduismus steht?“
„Für Leben, Tod, Ewigkeit und die unsterbliche Seele. Und im weitesten Sinne auch für Seelenwanderung“, erklärte Sir Thomas mit einer Spur Ehrfurcht in der Stimme. Dabei strich er fast zärtlich mit den Fingerspitzen am Sonnenrad entlang.
„Tatsächlich?“ Wie überaus passend , dachte Elizabeth.
„Sind Sie religiös, meine Liebe?“, wollte ihr Gastgeber unvermittelt wissen.
Nach einer Sekunde des Zögerns entgegnete sie: „Verstehen Sie, was ich meine, wenn ich sage, ich bin nicht religiös, aber ich glaube?“
„Oh ja. Sehr gut sogar.“ Sir Thomas legte einen Arm um Elizabeths Schulter und führte sie aus der Bibliothek hinaus in einen gemütlichen kleinen Salon im Erdgeschoss, der im Vergleich zum restlichen Haus auffallend wenige Kunstgegenstände enthielt. Er bedeutete ihr in einem ledernen Ohrensessel mit dem Rücken zum offenen Kamin Platz zu nehmen und ließ sich in den Sessel gegenüber sinken.
„Der Wunsch nach Spiritualität und die Suche nach dem eigenen Platz im Weltengefüge sind in der heutigen entzauberten Welt stärker ausgeprägt denn je. Gleichzeitig fühlen sich immer weniger Menschen von den großen Kirchen angesprochen. Und das ist meiner Meinung nach auch verständlich, denn es ist meine persönliche Überzeugung, dass keine Religion auf der ganzen Welt Anspruch auf die einzige, unleugbare Wahrheit hat, auch wenn sie alle uns mit Vehemenz vom Gegenteil zu überzeugen versuchen.“ Er wurde von George unterbrochen, der leise eintrat und Tee und Gebäck auftrug. Sir Thomas war ein aufmerksamer Gastgeber und schenkte Elizabeth persönlich den schwarzen Tee ein. Sobald sie alleine waren, nahm er den Gesprächsfaden wieder auf. „Ich denke, jede Religion hat ihren eigenen kleinen Teil der Wahrheit erkannt. Um jedoch das große Ganze zu begreifen, muss man sich alle Religionen ganz genau ansehen und die Quintessenz erfassen. Das Wahrhaftige, das unter den belanglosen Bräuchen, Zeremonien und Dogmen vergraben liegt.“
Gebannt hing Elizabeth an Hamiltons Lippen. Ihr Gespräch hatte eine überraschende, aber überaus faszinierende Richtung
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