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Und die Goetter schweigen

Und die Goetter schweigen

Titel: Und die Goetter schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Janson
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unterwegs war. »Der Türcode ist 2412, das Datum von Weihnachten. Kann man leicht behalten. Aber vielleicht wollen Sie lieber an der Tür klingeln«, sagte die Frau und verschwand auf der nächsten Station.
    Es roch nach einer Mischung aus Weihnachtsblumen, Kaffee und Urin. An der Wand entlang saßen ein paar kleine, in sich zusammengesunkene Frauen und brüteten in ihren Rollstühlen vor sich hin. Eine ältere Frau wankte umher und sammelte die Kaffeetassen der anderen ein, wobei sie unablässig angeschnauzt und zurechtgewiesen wurde. Weit hinten im Korridor rief jemand nach seiner Mutter. »Mama, Mama, Maaama!« Maria spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog, ein unbestimmtes Kneifen. Das war schrecklich. Wenn nun der verwirrte kleine Mensch dort hinten glaubte, er sei ein kleines Mädchen, das seine Mutter verloren hatte, das sich nach seiner Mutter sehnte, dann war das einfach schrecklich! Eigentlich ebenso schrecklich, wie wenn Linda nach ihrer Mama weinte. Das Gefühl war ja sicher das gleiche. Maria fühlte sich überhaupt nicht wohl. Sie war noch nie in einer solchen Abteilung gewesen. Bisher kannte sie Krankenhäuser nur von der Geburt ihrer Kinder und oder wenn sie dienstlich in der Ambulanz zu tun gehabt hatte. »Zu wem möchten Sie?«
    »Ich möchte mit Saga Månsson sprechen, ich bin von der Polizei.« Die weiß gekleidete Frau riss die Augen auf. Ein freundliches Lächeln erhellte den abgearbeiteten Gesichtsausdruck. Polizei, das war etwas für die Kaffeepause nachher. »Von der Polizei! Ich weiß nicht, ob Sie etwas aus ihr herauskriegen werden. Worum geht es denn? Handelt es sich um diese Tochter da, die einen Arzt ermordet hat? Sie sind aber nicht von der Klatschpresse, oder?«
    »Ich möchte mit Saga Månsson allein sprechen«, antwortete Maria und zeigte demonstrativ ihren Dienstausweis. »Bitte sehr«, sagte die Schwester schmollend. »Da sitzt sie. Gehen Sie nicht zu nahe ran, sie kann ziemlich übel kratzen.« Ganz hinten im Korridor saß eine weißhaarige Frau in einem hellblauen kuscheligen Jogginganzug am Fenster. »Guten Morgen, ich heiße Maria Wern. Ich bin von der Polizei. Darf ich mich setzen?« Die Frau antwortete nicht. Ihr Blick folgte einigen vorbeigehenden Patienten an der anderen Seite des Flurs. Maria ließ sich auf dem durchgesessenen Plastiksessel neben ihr nieder. »Guten Morgen! Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen, Saga?«, versuchte sie es wieder. Langsam drehte die Frau ihren Kopf vom Fenster weg. Maria sah das hellrote Narbengewebe rund um das eine Auge und den stummen Blick. Schaudernd erinnerte sie sich, was Bernhard Myhr über den Verlust des Auges erzählt hatte. Das Glasauge starrte groß in den Raum. Das andere Auge war klein, verschrumpelt und lag versteckt hinter mehreren Hautfalten. Die Frau sah bleich und krank aus. Der blaue Anzug verstärkte diesen Eindruck noch. »Saga Månsson, ich würde gern wissen, ob Sie einen Mann kennen, der Vidar Larsson heißt? Er war ein Freund von Disa.« Die Weißhaarige, die dagesessen und vor sich hin gekaut hatte, nahm ihr Gebiss heraus, leckte es sorgfältig ab und steckte es dann nachdenklich wieder in den Mund. »Vidar, Vidar aus Vidi …«
    Gesträuch wächst und starkes Gras auf Widars Waldgebiet; auf Rosses Rücken, zu rächen den Vater, verheißt dort der Heldensohn.
    Der starke Sohn Siegvaters kommt, Widar, zum Kampf mit dem Waltiere: Es stößt seine Hand den Stahl ins Herz dem Riesensohn; so rächt er Odin.
    »Grimnismál und Voluspá«, sagte die Alte und nickte nachdrücklich. »Grimnismál?«
    »Kennst du die Götterlieder nicht, du dumme Gans?« Saga lachte hart und kalt. Dann wurde sie ernst und blickte Maria scharf an. »Vidar war nicht Disas Freund. Er ist Disas Freund!« Maria legte bekümmert ihre Stirn in Falten. War der Frau nicht bewusst, dass ihre Tochter nicht mehr lebte? »Disa schickt jedes Weihnachten Blumen!« Saga Månsson zeigte mit zitterndem Finger auf den Tisch neben dem Bett, da stand ein großer Strauß weißer Lilien in einer der rostfreien Vasen des Krankenhauses. »Da siehst du!« Maria ging in das Zimmer und drehte die Karte um, die gegen die Vase gelehnt war. Eine ganz normale Weihnachtskarte mit dem Buchstaben D als einzigem Hinweis auf den Absender und in der linken Ecke ein Zeichen mit roter Tinte: die Rune Jara. Der Poststempel war aus Västerås. »Haben Sie jedes Jahr zu Weihnachten einen solchen Strauß bekommen?«
    »Jedes Weihnachten, jedes Weihnachten«, bestätigte Saga.

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