Und die Goetter schweigen
der Küche, sie stand da und guckte neugierig in den Kühlschrank, als Maria über die Schwelle trat. »Ich wollte nur mal nachsehen, ob der Professor etwas zu essen hat, wenn er aufwacht. Sieht schlecht aus, hier ist nur eine kleine Flasche Wodka, eine Platte Blätterteig und Essig. Kein Brot!«, stellte Karin fest und zog ein halb leeres Paket Kekse aus der Tasche ihres Parka. »Die müssen zum ersten Frühstück reichen.«
»Armer Mann.« Maria schielte durch die Tür zu dem schlafenden Professor. »Und ich glaubte, das mit dem Liebeskummer wäre vorbei, wenn man ins Pensionsalter kommt, aber da habe ich wahrscheinlich Unrecht. Wer weiß, vielleicht wird das ja sogar schlimmer, je älter man wird, je teurer und kostbarer die Zeit ist, die man mit jemandem, den man liebt, verbringen kann.«
»Er liegt so nicht gut. Wir nehmen ihm die Brille ab und ziehen die Schuhe aus, ehe wir gehen. Er macht sonst vielleicht seine Brille kaputt, wenn sie hinunterfällt und er drauftritt, sobald er aufsteht. Harnisch, Nylonhemd und eingenähte Bügelfalten, ich frage mich, wann die mal Mode waren? Kann das in den Sechzigern gewesen sein? Blieb das Leben stehen, als seine Frau starb?« Karin entfernte im Vorbeigehen ein paar welke Blätter vom Ficus, nahm die Brille, klappte sie zusammen und legte sie oben auf den Bücherstapel auf dem Nachttisch. Maria band die Schuhe auf. Aristokrat Größe 42! Vielleicht gab es eine halbe Million Männer, die Schuhgröße 42 hatten. Sie musste versuchen, besonnener zu sein! Keine übereilten Schlüsse! Schließlich war sie selbst es gewesen, die den Professor ins Spiel gebracht und um Hilfe gebeten hatte. Dadurch war er überhaupt erst hinzugezogen worden. Aus reiner Routine kontrollierte Maria den Kalender des Professors, der aufgeschlagen neben dem Telefon lag. Am 21. und 22. Dezember gab es keine Eintragungen, die letzte Vorlesung war auf den 17. Dezember datiert. Danach gab es keine Notizen bis zu dem Diavortrag bei Freyjas Nachkommen. Frau Höglund und die beiden Söhne lächelten sie von einem retuschierten Foto über dem Fernseher an. Eine Erinnerung an eine glückliche Zeit. Maria spürte einen Stich. Wie hielt sie es denn mit ihrer Familie, mit ihrem Glück? Suchte sie an der falschen Stelle? Das Heimweh zupfte an ihrem Herzen. Was hatte sie hier in Uppsala zu suchen?
Der Spaziergang im eisigen Wind war unangenehm. Der Hunger machte sich erneut bemerkbar. Karin schlug vor, mit dem Bus in die Innenstadt zu fahren, und das taten sie. »Das Schlimmste ist wirklich meine Schwiegermutter. Sie beherrscht die ganze Familie mit ihrem schwachen Herzen. Passt ihr was nicht, wird sie krank. Außerdem glaube ich, dass sie an meine Schubladen geht, wenn ich weg bin. Das Seidennachthemd, das ich von Krister zu Weihnachten bekommen habe, und ein Paket Zigaretten sind weg. Das Nachthemd war so schön. Der Stoff machte richtig scharf. Ich glaube, sie hat mir das nicht gegönnt! Ich bin beinahe sicher, dass sie es aus meiner Schublade genommen hat.« Karin lachte lauthals los. »Aha, du meinst, sie würde es dir stehlen, um Artur damit ein bisschen munter zu machen? Vielleicht ist das nötig!«
»Ich meine es ernst. Die Sachen sind verschwunden! Kurze Zeit habe ich sogar Patrik verdächtigt.«
»Patrik? Was sollte der denn in Kronköping zu tun gehabt haben?«
»Ja, was sollte der wohl in Kronköping zu tun gehabt haben?«
DER 28. DEZEMBER
19
Mit Unterstützung von Kriminalinspektor Bernhard Myhr bekam Maria die Adresse der Station heraus, auf die Disas Mutter Saga Månsson verlegt worden war. Ein Neubau gleich oberhalb des Sten-Sture-Denkmals auf dem Gelände des Akademischen Krankenhauses. Ursprünglich hatte man das Gebäude direkt an den Fluss setzen wollen, aber das Personal hatte protestiert. Obwohl es sich um eine geschlossene Abteilung handelte, kam es vor, dass Patienten den Weg nach draußen fanden, wenn ein Besucher die Tür nicht sorgfältig genug verschlossen hatte. Auch wenn der geplante Standort hübsch gelegen war, konnte man sich vorstellen, dass es nicht lustig war, gerade hier nach verschwundenen Patienten zu suchen. Es war tatsächlich vorgekommen, dass eine verwirrte Patientin mit dem Ausflugsdampfer versehentlich bis nach Skokloster gekommen war, was eine aufwendige Suche der Rettungsdienste mit allen Mitteln und sogar Tauchern zur Folge hatte, ehe man herausfand, wohin die Frau gefahren war, erzählte eine Putzfrau, die mit ihrem Wagen in die gleiche Richtung wie Maria
Weitere Kostenlose Bücher