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Und die Goetter schweigen

Und die Goetter schweigen

Titel: Und die Goetter schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Janson
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»Darf ich mir die Karte für einige Tage von Ihnen ausleihen? Das ist sehr wichtig. Sie bekommen sie so schnell wie möglich zurück.«
    »Ich will pinkeln!«
    »Ich hole jemanden, der Ihnen helfen kann. Dieses Zeichen«, Maria zeigte auf die Rune und beugte sich vor, »was bedeutet das?«
    Sagas Gesicht verkrampfte sich, als ob sie starke Schmerzen hätte. Maria sah die Hand mit den scharfen Nägeln zu spät, konnte aber gerade noch die Augen zukneifen. Erschreckt zuckte sie zurück. Die Wange brannte. »Das ist der Wunsch nach einem Kind«, flüsterte die Alte laut und heiser. Dann begann sie zu schreien. Maria versuchte ihr beruhigend zuzureden, aber das Schreien wurde immer lauter. Saga schlug wild um sich, kniff das gesunde Auge zu und schrie vor sich hin. Das Personal kam angelaufen. Neugierige Mitpatienten steckten ihre Köpfe aus den Zimmertüren. Das Schreien war durch die Wände zu hören. Maria wandte sich an die Schwester, die sie zu Saga gebracht hatte. »Können wir irgendwo ungestört miteinander sprechen?«
    »Sie hat Sie ja gekratzt! Ich habe Sie doch gewarnt! Kommen Sie mit raus in den Behandlungsraum, dann kann ich die Wunde reinigen. Wie Sie aussehen!« Maria folgte der Weißgekleideten hinaus in ein verschlossenes Zimmer. Sie bekam einen Platz auf einem Metallhocker neben einem Wagen mit Nadeln, Desinfektionsmitteln und Pflastern angewiesen. An der Wand hing ein Plakat mit Abbildungen von infizierten Wunden in unterschiedlichen Stadien, von geröteter Haut bis zu beginnender Verwesung, und ein anderes mit Werbung für ein Abführmittel, das eine kleine Frau auf dem Nachttopf zeigte. Schaudernd erinnerte sich Maria an den Äthergeruch im Zimmer der Schulkrankenschwester und die blendend weißen Wände im Warteraum davor. Tetanusspritzen, Kinderlähmungsspritzen kamen ihr in den Sinn, ebenso der grimmige Schularzt. Maria fühlte sich klein und verletzlich. Ihr Gesicht brannte von den Desinfektionsmitteln. Vorsichtig schielte sie zum Spiegel. Vier angeschwollene Kratzer zogen sich von der Stirn über die Augenlider bis zum Kinn. Hübsch sah sie nicht gerade aus! »Das hätte ins Auge gehen können!«, sagte die Schwester und spülte sich die Hände unter dem Wasserhahn ab. »Vielen Dank für die Hilfe. Ich hatte wohl Glück. Darf ich Sie um etwas bitten? Wenn Saga Månsson Besuch bekommt, möchte ich, dass Sie sofort, aber diskret die Polizei anrufen.«
    Saga Månssons Blumen waren mit einem Boten von Evertssons Blumengeschäft geliefert worden. Soweit sich die Schwester erinnern konnte, hatte Saga Månsson auch im Jahr davor zu Weihnachten einen Strauß mit weißen Lilien erhalten. Sie bekam nie Besuch, und die Schwester hatte keine Ahnung, wer »D« sein könnte. Maria fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten. Im zweiten Stock stieg ein älteres Paar hinzu, und Maria verdeckte ihr Gesicht mit der Hand. Evertssons Blumenladen lag gleich um die Ecke. Es duftete nach Rosen, Moos und Schwertlilien. Die Schlange war lang, zwei Verkäufer arbeiteten mit Hochdruck. Viele Angehörige wollten zwischen den Feiertagen ihre Verwandten und Freunde besuchen. Maria hatte den Eindruck, angestarrt zu werden. Sie spürte die verstohlenen Blicke auf ihrer Haut brennen und merkte, dass die Leute Abstand hielten. Schließlich war Polizeiassistentin Wern an der Reihe. Sie fragte den Verkäufer, ob sie irgendwo ungestört miteinander sprechen könnten. Der Mann erweckte den Anschein, als ob er gleich in Ohnmacht fallen wollte. Die Frau vor ihm sah wild aus mit ihrem buschigen Haarzopf und dem zerkratzten Gesicht. War das ein zweideutiges Angebot mitten im Nachweihnachtsstress, oder was sollte das bedeuten? Maria warf ihren Dienstausweis auf den Ladentisch, als sie die dümmliche Miene des Verkäufers wahrnahm. »Polizei.« Maria versuchte beruhigend zu lächeln, aber die Lippe platzte wieder und blutete. »Es wird nicht lange dauern!« Der Mann in der Schlange hinter Maria machte lange Ohren und sperrte die Augen auf, als der Verkäufer und die Polizistin hinter dem Vorhang verschwanden. Er stellte sich auf Zehenspitzen und wäre nur allzu gern mitgegangen, es hätte nur eines kleinen Winkes bedurft. Seite für Seite blätterten sie im Auftragsbuch. Maria trat ungeduldig von einem Bein auf das andere. Am 23. Dezember war ein Strauß weißer Lilien für 150 Kronen an Saga Månsson, Psychiatrische Abteilung des Akademischen Krankenhauses in Uppsala, im Auftrag von Elviras Blumengeschäft in Kronköping geliefert worden. Der

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