Und die Goetter schweigen
Absender war anonym. Bezahlung in bar. Maria bekam eine Gänsehaut! Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Durfte sie mal telefonieren?
20
Nach dem Gespräch mit Kriminalinspektor Hartman hatte die Spannung etwas nachgelassen. Um die Weihnachtskarte sollte sich das kriminaltechnische Labor in Uppsala kümmern. Vielleicht fand man Fingerabdrücke darauf oder konnte eine Handschriftenanalyse von den drei dürftigen Zeilen machen, auf denen Stina Ohlssons Name und Adresse in Druckbuchstaben standen. Tomas Hartman würde das betreffende Blumengeschäft in Kronköping selbst aufsuchen. Wenn sich Maria nicht sehr täuschte, war es der Laden, den sie von ihrem Bürofenster aus sehen konnte. Am 23. abends hatte sie eine Frau im Pelz mit einem weißen Spitz an der Leine genau in dieses Blumengeschäft gehen sehen. Die Frau war mit ihren Einkaufstüten in der Tür hängen geblieben, und ein älterer Herr hatte ihr geholfen. Nicht ohne Vorbehalt gab sie Hartman eine Personenbeschreibung. Die Frau, die sie aus ihrem Fenster gesehen hatte, war kurzbeinig, höchstens eins sechzig groß. Im Blumenladen konnte man ihm vielleicht eine bessere Beschreibung der anonymen Kundin liefern. Auf jeden Fall müsste man sich daran erinnern können, ob es ein Mann oder eine Frau war, die den Strauß bestellt hatte. Weiße Lilien sind zu Weihnachten nicht gerade alltäglich. Maria setzte sich in die Cafeteria des Krankenhauses und überlegte. Entweder war Disa Månsson noch am Leben, oder jemand wollte, dass die Polizei davon ausging. Disa war mit Sicherheit in dem brennenden Auto umgekommen. So zur Unkenntlichkeit verbrannt, dass sie nur mit Hilfe des Zahnschemas identifiziert werden konnte. Es schien höchst unwahrscheinlich, dass sie danach wieder auferstanden war. Aber wer war es dann, der einer alten Frau wie Saga Månsson jedes Weihnachten so teure Blumen schickte? Wer schickt Blumen aus einem Blumenladen in Kronköping? Warum stand auf der Karte nur ein D und nicht Disa? Vielleicht wäre aus der Handschrift ersichtlich geworden, dass jemand anderes als Disa Månsson sie geschrieben hatte. Maria holte sich noch einmal Kaffee nach. Vor den Fenstern wirbelten kleine eisige Schneeflocken wie Waschpulver schräg vorbei. Der Wind pfiff um die Hausecke. Menschen liefen dick eingepackt vornübergebeugt und mit schnellen Schritten über den Parkplatz. Schön, dass man an einem solchen Tag nicht draußen Streife gehen musste. Maria biss von ihrem Safranskuchen ab und dachte an Professor Höglund. Wie ging es ihm heute mit seinem Kater? War es vorstellbar, dass der Professor auf irgendeine Art und Weise mit betroffen war? Könnte er Disa gekannt haben? Darüber hatte er kein Wort verloren. Tatsächlich nicht. Wenn er sie gekannt hatte, hätte er es sicher erwähnt. Manchmal muss man mit einem dritten Ohr zuhören, darauf achten, was nicht gesagt wird, wie Hartman zu sagen pflegte. Offensichtlich kannte er jedenfalls Disas Vater. Es war nicht unwahrscheinlich, dass sie sich hin und wieder getroffen hatten, vereint durch ihr Interesse an der nordischen Mythologie. Wenn der Professor Disa gekannt hatte, musste er gute Gründe haben, nicht darüber zu sprechen, überlegte Maria.
Jetzt war Vidar aus Vidi an der Reihe. Im Telefonbuch stand Vidar Larsson nicht. Nach weiterer Unterstützung durch Kriminalinspektor Bernhard Myhr fand sich Maria auf einem Abbruchgrundstück in der Svartbäcksgatan wieder, auf dem vier Wohnwagen aufgestellt waren. Das war die heutige Form der Wohngemeinschaft, erfuhr Maria vom Personal, das einen der Wohnwagen als Aufenthaltsraum nutzte. Absicht war gewesen, dass die Wohnwagen nur eine vorübergehende Lösung des Wohnungsproblems sein sollten, aber ein anderes Angebot war nicht vorgelegt worden, obwohl es mitten im Winter war. Gnädigerweise hatte man auf Bestellung elektrische Heizkörper bekommen. Wäsche machen und Essen kochen musste auf primitivste Art und Weise erledigt werden. »Wenn wir waschen wollen, wärmen wir Wasser auf dem Herd«, erzählte ein langer schmächtiger Pfleger mit roten Haaren. Maria konnte sich vage erinnern, dass Bernhard Myhr von einem Zeitungsartikel gesprochen hatte, in dem Vidar Larsson mit einer Motorsäge in der Hand abgebildet gewesen war. Der Rothaarige bestätigte das. »Er war auf der ersten Seite der Zeitung. Das stimmt. Wegen genau der Motorsäge sitzen wir jetzt in diesen Wohnwagen«, sagte der junge Mann. »Vidar ist keiner, der irgendwas aus eigenem Antrieb macht, aber wir kriegten
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