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Und die Goetter schweigen

Und die Goetter schweigen

Titel: Und die Goetter schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Janson
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an. »Die Hunde haben eine Spur gefunden. Sie führt hinunter zur Landstraße!«, rief Arvidsson durch die Glasscheibe.

27
    In wildem Zorn riss Disa Månsson das Seidennachthemd von oben nach unten entzwei. Riss die teure Spitze heraus. Freyja hatte sie im Stich gelassen! Alle hatten sie im Stich gelassen! Jetzt konnte sie sich nur noch auf sich selbst verlassen, auf Odin, den Höchsten, und die Nornen. Sie hatten ihr Haus genommen, in ihrem heiligsten Raum herumgeschnüffelt. Sie hatte sie kommen hören, hatte sich auf die Ski geworfen und in letzter Sekunde den Bus in die Stadt geschafft. Sie hatte die Hunde gesehen, arglistig wie der Fenriswolf, mit glänzenden Augen und langen Zungen. Die hatten ihre Spur bis an den Bus verfolgt. Sicher würden die Mitreisenden nach ihrem Aussehen befragt werden. Disa war in die Cafeteria der Galeria verschwunden, war auf die Toilette gegangen. Hatte sich an einem kleinen Jungen, der eilig pinkeln musste, und an seiner Mutter vorbeigedrängt. Hohnlächelnd zog sich Disa die blonde Perücke vom Kopf und befreite sich von der Büstenprothese. Langsam, sozusagen zum Abschied, steckte sie sich den Rauch der Göttin an. Den letzten Stängel. Sog das Aroma ein, blinzelte durch den Rauch und entspannte sich. Die würden länger auf dem Gehöft zu tun haben, das konnte sie sich ausrechnen. Das Gebiet würde abgesperrt werden. Die Polizei würde es bewachen. Sie würde keine Gelegenheit mehr haben, zum Brunnen zu gehen, wo sie doch gerade jetzt den Rat des Vaters brauchte. Vielleicht würden sie seinen Kopf finden und ihn an sich nehmen, ihn in Formalin oder etwas anderes ebenso Widerliches und Respektloses stecken. Disa zerdrückte die Zigarette mit ihrem schwarzen Absatz, als ob es ein Insekt wäre. Sie hatten kein Recht, so etwas zu tun! Der Kopf gehörte Disa und niemand anderem! Sie hatte ihn selbst in einer Stunde des Triumphes geholt. Einer Stunde heiliger Eingebung. Bereits als der Vater seinen Herzinfarkt bekam, wusste sie, was sie zu tun hatte. Geschickt hatte sie Trauer vorgespielt, wenn Trauer erwartet wurde. Da galt es lediglich, mit einzustimmen und nachzuäffen, eine Träne zu weinen oder schweigend aus dem Fenster zu starren. Sie hatte deren Trauer reflektiert, und die hatten sich täuschen lassen. Kurz vor dem Begräbnis hatte sie den Pastor gebeten, mit dem Sarg allein gelassen zu werden. Um eine Stunde hatte sie gebeten, und das hatte vollkommen gereicht. Da waren viele üppige und verschwenderische Kränze gewesen. Der Sargdeckel ließ sich leicht öffnen. Sie hatte selbst den teuersten Eichensarg ausgesucht, damit alle sehen konnten, wie sehr sie ihren Vater wertschätzte. Die armen Leute, sie konnten ja nicht verstehen, dass Henrik Månsson nur eine Verwandlung durchmachte, dass er in eine neue Dimension eintrat. Das ganze nachfolgende Ritual war eigentlich lächerlich, wenn man wusste, was geschehen würde: dass Henrik Månsson nur in einen höheren Grad von Bewusstsein einging, dass er die Fülle und Stärke bekam, nach der er stets gestrebt hatte. Die waren so einfältig, die Menschen in Midgard, so ahnungslos über ihr Erbe aus der Vorzeit. Mit einer kleinen scharfen Säge, im Eisenwarenladen nur zu diesem Zweck eingekauft, schritt sie ans Werk. Wickelte den Kopf in Plastik ein, ehe sie ihn in ihre Schultertasche legte, wischte sich den Schweiß ab und machte den Sargdeckel wieder zu. Die Kränze lagen nachher vielleicht nicht mehr genau so da wie zuvor, aber niemand merkte etwas. Die Nelken dufteten stark. Weiße Lilien strömten einen Duft von Triumph aus. Während der ganzen Beerdigung hätte sie gern laut losgelacht: Ratet mal, was ich in meiner Tasche habe. Was glaubt ihr, was ihr da begrabt? Es hatte sie große Selbstbeherrschung gekostet, es zu unterlassen, ihren Schatz vor der Toilette einem alten Herrn zu zeigen. Nur mal den Reißverschluss ein wenig aufziehen, sodass er hineinsehen konnte. Das wäre so aufregend gewesen, die Veränderung in seinem Gesicht zu verfolgen, von Verwirrung über Erstaunen zu Schrecken. Aber sie hatte es dann doch gelassen. Es hätte Schwierigkeiten geben können. Ganz ahnungslos war sie nicht darüber, was Menschen anstellen konnten, wenn sie aufgeregt wurden. »Und was kann Disa da in ihrer Tasche haben, was glaubt ihr?« Bei dem Gedanken lachte Disa laut. Welch ein Sieg! Welch ein Triumph! Niemals mehr würden sie Dreck-Lisa, Piss-Disa rufen. Sie war jetzt eine richtige Göttin geworden. Sie hatte den Kopf ihres eigenen

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