Und die Goetter schweigen
Postmeister, bevor er in Pension ging. Wie würde die Welt ausgesehen haben, wenn alle Männer Postmeister gewesen wären? Wer hätte denn dann die Post ausgetragen, Wege gebaut, Blinddärme operiert und Brot gebacken? Alle müssen ihr Teil zum Gelingen beitragen, ohne dass eine andere Tätigkeit deswegen weniger wert ist. Ich bin sicher, wenn sie ein Weilchen darüber gegrübelt hat, kommt sie von selbst dahinter, dass es gerade ihre eigene Nische ist, die sie wertvoll macht. Wenn sie ein paar Monate darüber nachdenken und mit Nachbarinnen, Verkäuferinnen und Busfahrern darüber sprechen darf, wird es schon besser werden. Aber das wird sicher seine Zeit dauern. Ich habe zwei Jahre gebraucht, von zu Hause auszuziehen, also mach dir keine zu großen Hoffnungen.« Gemeinsam deckten sie ihre schlafenden Kinder noch einmal zu. Maria fühlte einen Stich in ihrem Herzen, einen Klumpen in ihrem Hals, als sie ihre kleinen Lieblinge anblickte. So wenig waren sie über diese Weihnachtstage zusammen gewesen. Sie hatte nicht mal ihre Weihnachtsgeschenke bewundert. Sie hatten keine Apfel gebraten und keine Weihnachtslieder zusammen gesungen, Geschichten erzählt oder Pfefferkuchen gebacken, und von ihrem Mann hatte sie in diesen stressigen Tagen kaum einen Schatten gesehen.
Um 23.00 Uhr flimmerte die Nachrichtensendung über den Bildschirm. Disa sah ihr Gesicht, das die ganze Fläche ausfüllte. So hatte sie ausgesehen. Mit der Hand strich sie sich über Mund und Kinn, beinahe ein wenig traurig. Sie erinnerte sich an die Schmerzen im Kieferknochen, im Nasenbein, in den Backenknochen, wie die Haut um die Augen herum und überm Kinn gespannt gewesen war. Gleichzeitig empfand sie Stolz, Stolz darüber, im Fernsehen gezeigt zu werden, in ihrem eigenen Fernseher zu erscheinen. Das war ihr Eigentum, und er war ganz neu. Tolles Gerät. Sie hatte lange nach dem perfekten Fernseher in dem perfekten Haus gesucht. Es war, als ob man einem Kind Süßigkeiten wegnahm, wenn man es mal so einfach ausdrücken durfte. Sie ging einfach hinein und nahm ihn mit. Disa versank in Gedanken. Sie erinnerte sich an vergangene Zeiten. »Piss-Lisa, Dreck-Disa muss auf dem Fußboden sitzen, sonst riecht es auf dem Sofa nach Pisse«, hatten die Kinder der Nachbarsfrau gesagt, wenn sie sich im Dunkeln vor den neu gekauften Fernseher setzten. »Deine verrückte Mutter wird euch nie einen Fernseher kaufen können, das ist mal sicher«, hatten sie gesagt und ihr mit Absicht auf die Finger getreten, als sie da auf dem Boden saß. Das hatte wehgetan, vor allem in der Seele. Denn das war zu einer Zeit gewesen, als sie noch nicht wusste, dass sie eine Göttin war, eine Asin, mit dem Recht zu strafen. Disa strich mit der Hand über ihren schönen Fernseher, den teuersten, strich mit ihrer Hand über das Ledersofa. Sie hatte es so gut. Hier würde niemand sie finden, hier war sie sicher. »… suchen Mitpatienten, jemanden, der in der Abteilung für plastische Chirurgie war, in der Disa Månsson im Frühjahr 1987 behandelt wurde«, sagte die Fernsehstimme, und Disas Gesicht wurde in Großaufnahme gezeigt, im Hintergrund spielten sie Musik aus Horrorfilmen. »Verflucht, was für eine List! Wie konnten sie das wissen? Vidar natürlich! Der würde seine eigene Mutter für ein Butterbrot verkaufen. Mag der Blitz ihn treffen!« Disa warf den Teller auf den Boden, sodass er in Stücke ging. Sie hätte sich mehrere Perücken kaufen sollen. Jetzt hatte sie nur ihr in der Fredsgatan eingekauftes Dolly- Parton-Kostüm. Vielleicht konnte man die Perücke mit Schuhcreme braun färben, sie färben, sich umziehen … Jetzt wurde es höchste Zeit! Sie musste ihr kleines Mädchen nehmen und das Land verlassen. Der gefälschte Pass lag schon in dem fertig gepackten Koffer. Teuer, aber geschickt gemacht. Alles war klar. Das Geld befand sich bereits auf einem Konto in der Schweiz. Entweder würde die Göttin Freyja das Kind wie vereinbart selbst übergeben, oder sie musste es sich mit einer List holen. Es musste bald geschehen. Noch sprach das Kind für die meisten Menschen völlig unverständlich, aber das war nur eine Frage der Zeit. Gerade hatte sie Lungenentzündung, die kleine Linda, aber das half nun nichts. Wenn sich eine Gelegenheit ergab, mussten sie sich trotzdem auf den Weg machen.
DER 31. DEZEMBER
28
Maria war auf ihrem Arm eingeschlafen. Krister hatte ihr Kaffee am Bett serviert, ihr langes blondes Haar gekämmt, wie damals, als sie frisch verliebt gewesen waren. Nur
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