Und die Hölle folgte ihm nach
hilflos all dem Übel überlassen? Komm, erzähl mir, was sich hier abspielt, vielleicht finde ich einen Weg, dir zu helfen.«
»Mir ist nicht mehr zu helfen«, flüsterte der Kranke. »Ich gehe bald ein in die ewige Ruhe. Nur um eines möchte ich dich bitten …«
»Was immer ich für meinen alten Lehrer tun kann, das will ich tun«, erwiderte Fidelma mit fester Stimme.
»Wenn du heimkehrst, entzünde eine Kerze in der kleinen Kapelle auf Inis Celtra und bete für meinen Seelenfrieden.«
»Noch bist du nicht tot«, wandte sie entschieden ein und kämpfte gegen die Tränen, die ihr kamen.
»Ich werde es aber sein, noch ehe du in Genua bist.«
Vom Korridor her war das Klatschen von Ledersandalen auf Stein zu vernehmen; einer der Brüder ging vorüber. Fidelma spürte, wie der Druck seiner Finger in ihrer Hand plötzlich kräftiger wurde.
»Du musst mir glauben, Fidelma«, flüsterte er heiser. »Um der Liebe willen, die ich für deinen verstorbenen Vater, König Failbe Flann, stets gehegt habe, glaube mir. Ich fürchte, du gerätst bald in große Gefahr. Sie wollten mich töten, und den Jungen haben sie bereits umgebracht, um ihn mundtot zu machen. Sie werden auch keinen Augenblick zögern, dich zu ermorden. Sie wissen, ich habe das Gold gesehen. Sie wissen, dass ich sie im Verdacht habe … deshalb werde ich bald tot sein.«
»Welchen Jungen?«, fragte Fidelma erschrocken. »Meinst du Prinz Romuald?«
Der Alte schüttelte den Kopf derart heftig, wie es Fidelma ihm nie zugetraut hätte. »Nein, nein, nein. Den Ziegenhirt meine ich.«
»Den Ziegenhirt?«, fragte sie vollends verwirrt »Wer sind ›sie‹, und warum hatten sie es auf einen Ziegenhirten abgesehen? Erzähl mir, was du weißt.«
Der Sieche atmete pfeifend. »Ich bin erschöpft, ich kann nicht mehr. Um mich dreht sich alles. Je weniger du weißt, desto besser für dich. Verlass die Abtei, so schnell du nur kannst.«
»Heißt das, du rechnest damit, dass man dich umbringt?«, drang sie in ihn.
»Umbringt«, murmelte Bruder Ruadán wie geistesabwesend. »Der Junge … der kleine Wamba. Er hätte nicht sterbendürfen, bloß weil er die Münzen hatte. Tot. Altes Gold … Ich hab’s gesehen. Man mag nicht glauben, wie viel Böses ein Mausoleum bergen kann.«
»Ich versteh nicht, was du meinst.«
Wieder wurde es lebhaft auf dem Korridor, sie hörte Bruder Hnikar mit jemandem laut reden. Der Apotheker durfte sie nicht in Bruder Ruadáns Zelle überraschen. Sie neigte sich über ihren alten Lehrer.
»Ich komme später wieder, wenn abzusehen ist, dass wir nicht gestört werden. Wir müssen weiter miteinander reden, Bruder Ruadán«, hauchte sie ihm ins Ohr. Sie legte ihm die Hand an die Seite, ging lautlos zur Tür und lauschte, ohne sie zu öffnen.
Bruder Hnikars Stimme war leiser geworden, aber immer noch zu hören, und das gar nicht weit entfernt. Mit aller Vorsicht öffnete sie die Tür einen Spalt und spähte hinaus. Von ihrem Blickwinkel aus sah sie niemand, also öffnete sie die Tür ganz und schaute sich um. Etwas weiter im Gang stand eine Tür offen, und von dort kam die Stimme des Apothekers. Sie glitt in den Korridor, zog sacht die Tür hinter sich zu und huschte dorthin, wo ein anderer Gang im rechten Winkel abzweigte. Erst als sie um die Ecke gebogen und sicher war, von Bruder Hnikar nicht gesehen zu werden, falls er auf den Hauptgang hinaustrat, atmete sie auf und blieb stehen.
Sie überlegte. Was sie hatte ergründen wollen, hatte sie keineswegs erfahren, im Gegenteil, neue Fragen drängten sich auf, denen sie hilflos gegenüberstand. Eine Glocke erklang, und Mitglieder der Bruderschaft wandelten durch die Gänge. Zwei gingen an ihr vorbei, schauten auf ihre Füße und schienen belustigt. Da erst bemerkte sie, dass sie ihre Sandalen immer noch in der Hand hielt und barfuß war. Beschämtschlüpfte sie in das Schuhwerk und begriff, dass die Glocke zur ersten Mahlzeit des Tages rief. Sie folgte den Brüdern, die zweifelsohne zum
refectorium
strebten.
Bruder Bladulf, der Torhüter, kam auf sie zu und begrüßte sie mit einem achtungsvollen Neigen des Kopfes. »Ich wollte dir gerade den Weg zeigen, Schwester.« Er drehte sich um und ging ihr in den Saal voran. Sie wurde an den Tisch des Abts geführt, an dem jedoch einzig und allein der Ehrwürdige Ionas saß. Rasch wanderte ihr Blick durchs
refectorium.
Schwester Gisa war mit ihren Mitschwestern in ihrer Ecke, auch Bruder Faro hockte auf seinem Platz. Von Bischof Britmund und seinem
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