Und die Toten laesst man ruhen
ich wegen der Bettdecke nicht sehen. Nachdem ich beide Beine angehoben hatte, wusste ich, dass ich noch laufen konnte.
Die nächste Inspektion galt meinem Kopf. Mit der Hand fühlte ich einen Verband oberhalb der Augen und ein pappnasenartiges Gebilde da, wo meine Nase sein sollte. Das konnte ja heiter werden. Ich drehte den Kopf so weit, dass ich durchs Fenster schauen konnte. Unerreichbar weit entfernt liefen Menschen über die Straße, fuhren Autos, pulsierte das Leben. Wieder juckte meine Kniekehle. Langsam, Zentimeter für Zentimeter, schob ich meine Hand nach unten und kratzte mit dem Genuss eines Süchtigen.
Anschließend dachte ich über das Leben nach, bis mich eine Krankenschwester dabei störte.
»Na, sind wir schon wach?«
»Was haben wir denn?«
»Bitte?«
»Ich meine, wie viele Stunden gibt mir der Doktor noch?«
»Ach so.« Sie lachte das typische Krankenschwesterlachen, das aufmunternd wirken soll. »Ist alles halb so schlimm. Nur eine Gehirnerschütterung und drei geprellte Rippen. Nichts gebrochen.«
»Und was ist das da?« Ich zeigte mit dem Finger auf die Pappnase.
»Och, ein bisschen angebrochen. Das verheilt wieder.«
Sie sprach mit mir wie mit einem Dreijährigen.
»Soll das heißen, dass ich mit einer Boxernase rumlaufen muss?«
»Nein, das haben wir gerichtet. In einem Monat sehen Sie ganz normal aus.«
Ich atmete auf. »Gut, dann möchte ich jetzt nach Hause gehen. Legen Sie mir meine Sachen hier neben das Bett!«
»Das geht nicht.« Ihr Gesicht bekam einen strengen Ausdruck. »Sie müssen noch mindestens drei Tage hierbleiben. Zur Beobachtung. Und mit diesen Rippen sollten Sie überhaupt nicht laufen.«
»Wegen einer geprellten Rippe geht ein Bundesligaspieler noch lange nicht vom Platz. Warum sollte ich also nicht gemütlich nach Hause fahren?«
»Weil der Arzt das nicht erlaubt.«
»Dann möchte ich den Arzt sprechen.«
Ihr Gesicht verfinsterte sich. »Wenn Sie es wünschen …«
»Ich wünsche es.«
Mit drohendem Hüftschwung verließ sie das Zimmer. Die nächsten fünf Minuten verbrachte ich mit dem Versuch, meinen Oberkörper aufzurichten. Als es klopfte, saß ich im Bett.
»Herein!«, rief ich und behielt meine Haltung bei, um die schlagartige Genesung zu demonstrieren.
Statt des Arztes trat Kriminalrat Merschmann durch die Tür.
»Schon wieder auf dem Damm, Wilsberg? Das freut mich aber.«
»Sie können schlecht lügen, Herr Kriminalrat.«
Er lachte eine halbe Sekunde lang. »Ich will mich nicht mit Höflichkeitsfloskeln aufhalten. Sie machen einen Fehler, Wilsberg.«
»Den habe ich bereits gemacht, sonst läge ich ja nicht hier.«
»Freut mich, dass Sie das auch so sehen. Sie geben also den Auftrag zurück?«
»Keineswegs. Ich werde nur beim nächsten Mal fester zuschlagen.«
Merschmann zog seine Nichtdenkerstirn in Falten. »Wilsberg, Wilsberg, Sie sind dümmer als ich dachte. Der kleine Zwischenfall sollte Ihnen als Warnung dienen.«
»Ich dachte immer, die Polizei steht auf der Seite der Opfer. Offen gestanden, habe ich sogar mit dem Gedanken gespielt, Anzeige gegen Unbekannt wegen Körperverletzung zu erstatten.«
»Lassen Sie die Scherze! Ich rate Ihnen dringend, Ihre Nase nicht in die Pobradt-Geschichte zu stecken.«
Er stand jetzt neben mir und ich musste den Kopf verdrehen, um ihn im Auge zu behalten. »Vier Tage nachdem ich den Fall angenommen habe, bin ich zusammengeschlagen worden, und ein leibhaftiger Kriminalrat bemüht sich persönlich ins Krankenhaus, um mir zu drohen. Ich wette zehn zu eins, dass vor zwanzig Jahren irgendetwas oberfaul gewesen ist. Wetten Sie dagegen?«
»Ich wette nicht. Denken Sie daran, dass Sie bei uns kein unbeschriebenes Blatt sind. Wir können Ihnen nicht nur Ärger machen, sondern Sie auch in der Öffentlichkeit bloßstellen.« Bei seinen letzten Worten hob er den rechten Zeigefinger und stieß mir damit kräftig vor die Brust. Ich schrie auf und fiel auf das Kissen zurück.
»Was machen Sie da?«, brüllte eine Stimme im Hintergrund. Aus den Augenwinkeln sah ich eine weiß bekittelte Gestalt.
»Helfen Sie mir!«, flüsterte ich. »Ich werde bedroht.«
»Kriminalpolizei«, sagte Merschmann und klappte ein Etui auf.
»Ich werde keiner Straftat verdächtigt«, stöhnte ich. »Schaffen Sie diesen Mann hier raus!«
»Ich glaube, es ist besser, Sie lassen Herrn Wilsberg jetzt in Ruhe«, sagte der Arzt mit viel freundlicherer Stimme.
»Schon gut«, knurrte Merschmann, »ich wollte sowieso gehen.«
Es war
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