Und die Toten laesst man ruhen
sicher nicht der richtige Augenblick, mich für gesund zu erklären, doch ich konnte nicht auf einen besseren warten. Mit piepsiger Stimme erläuterte ich dem Arzt, dass es mir keine Probleme bereiten würde, sofort und ohne Umstände das Bett zu verlassen. Er sah mich an wie einen Halbidioten, entschied dann, dass Psychiatrie nicht sein Fach sei, und holte ein Formular, auf dem ich unterschreiben musste, dass ich auf eigene Verantwortung und gegen den ausdrücklichen Rat des Arztes das Krankenhaus verlassen würde.
Anschließend war der Service gleich null. Keine Krankenschwester, die mir in die Hose half, kein Rollstuhl, der mich bis zum Ausgang fuhr. Mühsam rappelte ich mich hoch und tastete mich, die eine Hand am Bettgestell, bis zum Schrank vor. Hemd und Hose waren völlig verdreckt und blutbeschmiert. Gegen den Brechreiz ankämpfend, streifte ich mir die Sachen über.
Als ich mich angezogen hatte, ging es mir gleich besser. Erhobenen Hauptes und im Tempo einer schnelllaufenden Raupe bewegte ich mich zum Ausgang. Fast wäre alles gut gegangen. Nur ganz zum Schluss kreischte eine ältere Dame auf und fiel um ein Haar in Ohnmacht, als sie mich sah. Ich wandte mich ab und tat so, als hätte ich nichts bemerkt.
Ein hilfreicher Geist hatte meinen Wagen auf dem Krankenhausparkplatz abgestellt und so zockelte ich, verkehrsbehindernd alle Geschwindigkeitsvorschriften beachtend, ins Kreuzviertel. Vor der Wohnungstür wurde mir noch einmal schwarz vor Augen, aber dann hatte ich das Gröbste hinter mir.
Im Badezimmer warf ich meine Sachen auf den Boden und guckte in den Spiegel. Ein unbekanntes Wesen guckte zurück. Ich winkte ihm freundlich zu und ging schnurstracks ins Schlafzimmer, wo ich mich auf das Bett fallen ließ. Zehn Minuten atmete ich gleichmäßig durch, dann griff ich zum Telefon. Ein Telefonanruf noch und das Pensum für diesen Tag war erledigt.
»Hermann Pobradt.«
»Georg Wilsberg«, flüsterte ich.
»Hallo?«
»Georg Wilsberg«, sagte ich etwas lauter.
»Ach, Sie sind das. Können Sie etwas lauter sprechen? Ich verstehe Sie so schlecht.«
Ich versprach, es zu versuchen. »Sie haben recht, beim Tod Ihres Bruders ist nicht alles mit rechten Dingen zugegangen.«
»Das weiß ich auch. Aber wie kommen Sie darauf?«
»Heute Vormittag bin ich zusammengeschlagen worden und heute Nachmittag hat ein Kriminalrat gedroht, mich fertigzumachen, falls ich den Fall nicht abgebe.«
»Wer hat Sie denn zusammengeschlagen?«
»Ich habe vergessen, nach seinem Namen zu fragen.«
»Zu dumm.« Mitgefühl war nicht seine Stärke.
»Keine Sorge, das werde ich auch noch rauskriegen.«
»Sie bleiben also dabei?«
»Klar. Ich bin jetzt richtig scharf drauf.« Ich sagte das so, als würde ich mich weigern, ohne meinen Teddybär ins Bett zu gehen.
»Ich wusste doch, dass ich mich auf Sie verlassen kann. Erzählen Sie mal, was Sie bislang herausgefunden haben!«
Tatsächlich hatte ich ja herzlich wenig herausgefunden. So schmückte ich meinen Bericht mit scheinbar wichtigen Details und geheimnisvollen Andeutungen. Anschließend gab ich noch einen Überblick über mein nächstes Arbeitsprogramm. Bei Detektiven ist die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ja leider nicht üblich.
Ich wusste nicht, ob er mit meinem Bericht zufrieden war, aber mir wurde so flau im Magen, dass ich nicht danach fragte. Schnell versprach ich, in zwei Tagen wieder anzurufen, und hängte auf. Dann gab ich mich ganz dem wohligen Gefühl hin, in meinem Bett zu liegen.
Ich befand mich bereits im Dämmerzustand zwischen Wachen und Schlafen, als das Telefon klingelte. Nachdem es das drei Minuten lang getan hatte, nahm ich den Hörer ab.
»Ja«, hauchte ich.
»Hallo!«, rief eine fröhliche Stimme.
»Was ist denn?«, fragte ich verzweifelt.
»Hier ist Katharina Pobradt. Spreche ich mit Georg Wilsberg?«
Eine winzige elektrische Ladung durchzuckte mein Gehirn. Sie genügte, um meiner Stimme einen frischeren Klang zu geben. »Das tun Sie. Entschuldigen Sie, ich lag schon im Bett.«
»So früh?«
»Ich habe einen schweren Tag hinter mir, um es einmal vorsichtig auszudrücken.«
»Das klingt ja sehr geheimnisvoll.«
»Ist es auch. Aber manchmal behalte ich meine Geheimnisse für mich.«
»Schade. Ich würde mich gerne mit Ihnen treffen.«
»Im Prinzip hätte ich nichts dagegen.« Auch das war vorsichtig ausgedrückt. »Allerdings wäre mir ein Termin morgen lieber.«
»Es ist sehr dringend.«
»Nun werden Sie geheimnisvoll.«
»Ja, und
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