Und die Toten laesst man ruhen
ich möchte es nicht am Telefon besprechen.«
Mir fiel ein, dass ich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Und selbst das hatte ich nicht bei mir behalten.
»Okay, haben Sie Lust, mit mir essen zu gehen?«
»Warum nicht? Wo sollen wir uns treffen?«
»Mir wäre es am liebsten, Sie würden mich zu Hause abholen. Ich bin im Moment etwas geh- und fahrbehindert.«
Eine Viertelstunde später stand ich leicht gebeugt auf der Straße. Sie kam in einem kleinen italienischen Ding, das für Männer über eins sechzig nicht geeignet ist. Nachdem ich meine Knochen notdürftig unter dem Armaturenbrett verstaut hatte, guckte ich sie an.
»Mein Gott«, sagte sie.
Mir fiel ein, dass ich bei unserer letzten Begegnung besser ausgesehen hatte. »Eigentlich halb so schlimm. Es tut nur weh, wenn ich atme.«
»Chinatown.«
»Bitte?«
»Jack Nicholson sagt das in dem Film Chinatown, nachdem ihm Roman Polanski die Nase aufgeschlitzt hat.«
»Scheiße. Dabei wollte ich originell sein.«
»Macht nichts. Sie sehen auch so schlimm genug aus.«
»Danke.« Die Lachfältchen um ihre Augen konnten den besorgten Gesichtsausdruck nicht verdrängen. Fast hätte man meinen können, dass ihr mein Zustand nicht egal war.
»Wo fahren wir hin?«
»Hier in der Nähe gibt es ein südamerikanisches Lokal. Wenn Sie nichts gegen Steaks haben, kann man da ganz gut essen.«
Sie hatte nichts gegen Steaks und ich gab ihr die Fahrtrichtung an. Die nächsten Minuten verbrachten wir schweigend, nur durch kurze Kommandos meinerseits unterbrochen.
Das Café Argentina gehörte regelmäßig zu meinem abendlichen Programm. Die Musik war nicht zu laut, das Essen nicht zu schlecht und außerdem traf ich meistens Bekannte, mit denen ich bei einem bis mehreren Bieren nicht über Briefmarken sprach.
Dass sie mir den Arm unterschob und beim Gehen half, wehrte ich zunächst ab, ließ es dann aber aus Höflichkeitsgründen zu. Wie ein leicht angegreistes Ehepaar mit sechzig Prozent Schwerbehinderung schlichen wir auf einen der runden Marmortische zu. Im gedämpften Licht der Bastlampen musterte ich sie erneut. Seit gestern hatte sie sich eine Haarspange ins Haar geschoben, was ihr etwas Kesses gab. Ansonsten sah sie noch genauso aus. Im Gegensatz zu mir.
»Sie sehen ja furchtbar aus«, sagte sie erneut. Sie musste wohl das Gleiche gedacht haben wie ich.
»Ich habe mich schon mal besser gefühlt«, gab ich zu. »Aber das ist eben Berufsrisiko.«
»Na, Paco«, sagte Julio, einer der Besitzer des Cafés, »was ist denn mit dir passiert? Bist du beim Putzen die Treppe heruntergefallen?«
»Schlimmer«, sagte ich. »Ich bin beim Spülen ausgerutscht und habe mit dem Kopf ein Glas zertrümmert.«
Julio schüttelte den Kopf. »Amigo, du musst beim Spülen besser aufpassen.«
Wir orderten zwei Steaks und zwei große Biere. Dann harrten wir der Dinge, die da kommen würden. Nachdem wir uns lange genug umgeschaut und die Leute gemustert hatten, sagte sie: »Sollen wir nicht mit dem förmlichen Sie aufhören? Ich fühl mich richtig unwohl dabei.«
»Gerne«, sagte ich. »Ich heiße Georg.«
»Und ich Katharina.« Ich hatte es nicht vergessen.
Die Biere kamen und wir nahmen einen großen Schluck.
»Nun, Sie, ich meine: Du wolltest etwas Wichtiges mit mir besprechen.«
»Ja.« Sie wickelte eine Haarsträhne um ihren Zeigefinger und zögerte. »Du bist heute zusammengeschlagen worden.«
»Woher weißt du das?«, fragte ich etwas blöde. Bei meinem Zustand konnte ja jeder darauf kommen.
»Weil es mein Bruder Uwe war.«
Ich griff zum Bier und nahm noch einen Schluck. »Dein Bruder, aha.«
»Ja. Er hat es mir erzählt. Ich habe mich fürchterlich mit ihm gestritten, aber schließlich hat er eingesehen, dass es ein Fehler war.«
»Wie tröstlich.«
»Du musst ihn auch verstehen. Er macht sich Sorgen um unsere Mutter. Er meint, die Geschichte hätte sie schon damals ziemlich mitgenommen. Und wenn sie jetzt erneut daran erinnert wird, könnte das eine schwere Belastung für sie sein.«
»Hat dein Bruder eigentlich gute Kontakte zur Polizei?«
Sie guckte mich erstaunt an. »Warum?«
»Weil mich im Krankenhaus ein Kriminalrat besucht hat und mir sinngemäß das Gleiche zu verstehen gab wie dein Bruder.«
»Nein, bestimmt nicht. Er kennt niemanden bei der Polizei.«
Ich überlegte, wer Merschmann auf Trab gebracht hatte. Es blieb nur ein Kandidat übrig.
»Was denkst du?«, fragte sie. Ihre Stimme klang ein bisschen besorgt.
»Och, nichts
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