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Und die Toten laesst man ruhen

Und die Toten laesst man ruhen

Titel: Und die Toten laesst man ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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ich erzähle von meinem verstorbenen Mann. Das interessiert Sie sicher alles überhaupt nicht.«
    »So ist das nicht«, log ich, »aber meine Frau wartet zu Hause auf mich. Wir sind mit ein paar Freunden verabredet.«
    »Ich verstehe«, sagte sie mit leidender Miene.
    »Eugen«, warf der Wellensittich ein.
    »Er heißt auch Eugen«, erklärte die Alte. »Wie mein verstorbener Mann. Ist er nicht süß?«
    »Wer?«
    »Eugen. Ich habe ihn jetzt schon sieben Jahre. Meine Nichte hat ihn mir Weihnachten neunzehnhundert …« Und so ging das immer weiter. Ab und zu guckte ich verstohlen auf die Armbanduhr. Es gibt Härteres im Leben eines Privatdetektivs, als vereisten Kuchen zu essen und Geschichten von Wellensittichen und Verstorbenen zu hören, aber zu den Sonnenseiten des Berufes gehören solche Stunden auch nicht. Schließlich kam sie wieder auf Werner Meyer zu sprechen.
    »Als er sah, wie viel Mühe es mir machte, die schwere Mülltonne nach vorne zu schieben, hat er gleich angeboten, das für mich zu erledigen. Selbstverständlich habe ich mich erkenntlich gezeigt. Jedes Jahr bekam er zu Weihnachten eine schöne Flasche Schnaps. Trotzdem: Ich hatte keinen Grund zu klagen. Dagegen die Frau Stenzel, die oben neben ihm gewohnt hat, leider ist sie jetzt auch schon sechs Jahre tot, die hat mir manchmal Sachen über ihn erzählt.«
    »Was für Sachen?«
    »Frauengeschichten.«
    Die Fortsetzung kostete mich noch eine Tasse Kaffee. Sie selbst trank übrigens keinen. Wegen ihres Herzens, wie sie sagte. Als wir uns stillschweigend auf die Geschäftsgrundlage geeinigt hatten, erzählte sie weiter.
    »Der hatte immer verschiedene, meinte jedenfalls Frau Stenzel. Und einmal sind sie sogar gemeinsam in die Badewanne gegangen. Das Badezimmer von Frau Stenzel ist direkt neben seinem, wissen Sie.«
    Ich wusste nicht, ob ich moralische Empörung oder Humor zeigen sollte, und beließ es bei einem unverbindlichen Lächeln.
    »Zu meiner Zeit gab es so etwas nicht, aber Eugen und ich haben auch in der Wohnung meiner Eltern gewohnt. An eine eigene Wohnung war gar nicht zu denken.«
    »Hat er irgendwelche Namen genannt?«, fragte ich hastig, um nicht wieder die Rede auf Eugen kommen zu lassen.
    »Wer?«
    »Eugen. Quatsch, ich meine Herr Meyer. Kennen Sie den Namen einer der Frauen?«
    »Nein. Frau Stenzel hat nur gesagt: Jetzt ist die Blonde da. Oder die Braune.«
    »Wann ist er denn ausgezogen, der Herr Meyer?«
    »Das war …«, sie überlegte, »… kurz bevor die Zentralheizung eingebaut wurde. So um 1970 herum.«
    »Und wohin ist er gezogen?«
    »Er wollte nach Berlin. Ja, er sagte, man habe ihm dort eine Stelle angeboten.«
    »Haben Sie danach noch etwas von ihm gehört?«
    »Nein, nie wieder. Warum sollte er auch eine alte Frau wie mich besuchen?«
    Ich ließ die Frage unbeantwortet. Stattdessen bedankte ich mich für den Kuchen und versicherte ihr, dass meine Frau schon auf heißen Kohlen sitzen würde.
    Vor dem Haus atmete ich tief durch. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass die Sportschau seit fünf Minuten lief.
     
    Es war eine geräumige Altbauwohnung mit Stuck unter der Decke, knarrendem Parkettboden und einer großen Küche, wo sich die meisten Gäste aufhielten. Ich hatte befürchtet, dass ich den Alterspräsidenten abgeben würde, doch zu meiner Beruhigung sah ich zwei oder drei Späthippies in meiner Preisklasse.
    Die Tür hatte mir eine junge Frau im Minirock geöffnet und ich war unbehelligt bis in die Küche vorgedrungen. Da stand ich nun, die Flasche Wein in der einen, den Strauß Blumen in der anderen Hand, und harrte der Dinge, die noch kommen sollten.
    Der Küchentisch war dicht umringt von Menschen, die Nudelsalat, gefüllte Weinblätter und Käse von Papptellern pickten. Sie unterhielten sich angeregt über ihre Beziehungsprobleme und beachteten mich nicht weiter. Mehr Erfolg hatte ich bei denen, die lässig an der Wand und am Schrank lehnten. Einige beäugten mich mehr oder weniger verstohlen über ihre Gläser hinweg.
    Gerade hatte ich mich für eine Schwarzhaarige mit Pagenfrisur entschieden, als hinter mir ein »Georg, schön, dass du da bist!« ertönte. Katharina küsste mich auf den Mund und ich drückte ihr meine Mitbringsel in die Hände. Ihre Lippenstiftfarbe leuchtete wie die Reklame am Bahnhof.
    »Komm mit, ich zeig dir die Wohnung!«, sagte sie.
    Händchenhaltend durchwanderten wir die Fünfzimmerwohnung, die sie mit ihrer Freundin Iris teilte. Wir besichtigten ein Arbeitszimmer mit den

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