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Und die Toten laesst man ruhen

Und die Toten laesst man ruhen

Titel: Und die Toten laesst man ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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kicherte und zerrte mich in den Tanzsaal. Der Discjockey hatte die Nostalgie-Stunde eingeläutet. Und was damals gut war, als ich mit klopfendem Herzen die Mädchen im Jugendzentrum zum Tanz aufforderte, konnte nicht zwanzig Jahre später plötzlich schlecht geworden sein.
    »Bist du allein?«, fragte Katharina, als wir eine Pause einlegten und nach Luft schnappten.
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Ich weiß nicht. Die Frauen, die ich will, lassen mich abblitzen. Und die, die hinter mir her sind, verursachen bei mir nur ein leichtes Gruseln.«
    »Das klingt nach Ausrede.«
    »Kann schon sein. Wenn ich unbedingt ein Familienleben wollte, wäre ich vermutlich verheiratet, hätte zwei Kinder, würde sonntags mit ihnen um den Aasee spazieren und anschließend ein Eis essen gehen.«
    »Findest du das so schlimm?«
    »Nein, überhaupt nicht. Es ist nur so …« Ich fing an zu stottern und zuckte schließlich mit den Schultern. »Meine frühere Freundin nannte das Bindungsangst. Trivialer ausgedrückt: Ich warte immer noch auf die Traumfrau.«
    »Da kannst du lange warten.«
    Ich nickte. Mehr fiel mir dazu nicht ein.
    »Hast du etwas herausgekriegt?«, fragte sie nach einer Weile. Am Ton ihrer Stimme hörte ich, dass es nicht mehr um meine Psyche ging.
    »Nichts Besonderes«, sagte ich leichthin. »Ich verfolge eine vage Spur, die sich wahrscheinlich als Flop erweisen wird.«
    »Das klingt wie das Vernebelungsdeutsch des Regierungssprechers.«
    »Tut mir leid, aber konkreter kann ich nicht werden.«
    »Gegenüber der Tochter der Hauptverdächtigen.«
    Ich schaute sie an. Sie kniff für eine Zehntelsekunde den Mund zusammen und drehte dann den Kopf von mir weg.
    Damit war der angenehme Teil des Abends gelaufen. Ich trank noch zwei Bier, nahm einen Zug von dem Joint, den Anna an mir vorbeitrug, bevor sie einem Jüngling schöne Augen machte, und fuhr dann nach Hause.
    Es war eine sternenklare Nacht und der Prinzipalmarkt mit seinen historisierenden Fassaden sah aus wie eine Puppenstube. Um den Kitsch perfekt zu machen, stieß der Turmbläser von St. Lamberti gerade in sein Horn, als ich vorbeiradelte. Wäre da nicht der Betrunkene gewesen, der sich in den Rinnstein übergab, ich hätte mich für das einzig deplatzierte Element gehalten.
    Vor meinem Haus lungerte eine Gestalt herum. Mir war weder nach einer Schlägerei noch nach einer nächtlichen Fahrradtour zumute. Also hoffte ich einfach darauf, dass sich die Angelegenheit friedlich regeln ließe. Als ich das Fahrrad abschloss, überkam mich ein leichtes Zittern, das ich auf die nächtliche Kühle zurückführte.
    Die Gestalt rückte näher und sie sah so aus wie jemand, der mich kürzlich zusammengeschlagen hatte.
    »Ich glaube, ich muss mich entschuldigen«, sagte Uwe Pobradt.
    »Ja«, sagte ich und drückte das Kreuz durch, »das glaube ich auch.«
    »Ich habe die Nerven verloren. So etwas ist mir noch nie passiert.«
    Ich wartete.
    »Könnte ich Sie kurz sprechen.«
    »Warum nicht?« Ich schlug einen Spaziergang vor und wir bogen in die Hoyastraße ein. Aus den Kneipen rund um die Kreuzkirche torkelten die letzten Betrunkenen und grölten unanständige Lieder.
    »Wie gesagt, es tut mir leid«, fing er wieder an. »Ich möchte die Sache möglichst einvernehmlich aus der Welt schaffen und biete Ihnen ein Schmerzensgeld an.«
    »Zehn Tagessätze«, antwortete ich. »Ich schicke Ihnen eine Rechnung. Aber verwechseln Sie Schmerzensgeld nicht mit Schweigegeld.«
    »Nein, nein«, wehrte er ab. »So war das nicht gemeint. Obwohl, mein Angebot gilt nach wie vor, ich wäre sogar bereit, es zu erhöhen. Sagen wir: 5.000 Mark.«
    »Seien Sie froh, dass ich Sie nicht anzeige«, fuhr ich ihn an. »Wenn Sie Ihrer Mutter helfen wollen, beantworten Sie mir eine Frage: Wer war, außer den Familienangehörigen, während oder kurz nach dem Schuss, der Ihren Vater tötete, in der Wohnung?«
    »Niemand«, stammelte er überrascht. »Wir waren allein.«
    »Überlegen Sie mal«, hakte ich nach. »Da war der Nachbar, Runze. Aber es gab noch einen zweiten Mann.«
    »Ein zweiter Mann, wieso?« Er beäugte mich misstrauisch. »Da war kein zweiter Mann. Mein Vater hat Selbstmord begangen, verdammt noch mal, wann kapieren Sie das endlich?«
    Wir hatten die Kreuzkirche umrundet, die Kirchturmuhr schlug drei Mal. Die Straße war menschenleer. Ich beschloss, das Verhör nicht auf die Spitze zu treiben.
    »Okay, mehr wollte ich nicht wissen. Sie hören von mir«, fasste ich mich kurz und ließ ihn stehen. Auf

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