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Und die Toten laesst man ruhen

Und die Toten laesst man ruhen

Titel: Und die Toten laesst man ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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geschoben und wandte sich jetzt an die Verkäuferin mit dem Wunsch nach hundert Gramm Salami. Niemand nahm davon Notiz, dass ich schon seit fünf Minuten an der Theke stand.
    »Ich bin dran«, stieß ich aus und alle guckten mich an, als hätte ich etwas Unanständiges gesagt. Die Verkäuferin knurrte verächtlich: »Ja, bitte?«
    Vermutlich ist die Schlange vor dem einzigen McDonald's in Moskau noch viel länger, aber was nützen einem solche Erkenntnisse, wenn man samstagmorgens darauf wartet, sein Geld ausgeben zu dürfen.
    Natürlich hatte ich wieder viel zu lange geschlafen, und nach dem ausgedehnten Frühstück verleitete mich das schöne Wetter, mit dem Fahrrad in die Innenstadt zu fahren. Den Markt auf dem Domplatz ließ ich rechts liegen. Nach alten Freundinnen, die von ihren Kindern hin- und hergezerrt wurden und sich bei mir über ihre unglücklichen Ehen beschwerten, war mir heute nicht zumute.
    Also blieb nur das Kaufhaus, wo sich die Kurzvorschlusseinkäufer die Einkaufswagen aus den Händen rissen. Lange stand ich vor der Tiefkühltruhe und überlegte, ob ich mich am Abend mit einer Paella oder einem Hühnchen süßsauer überraschen sollte. Schließlich entschied ich mich für Nasi Goreng.
    Vor dem Kaufhaus spielten ein paar Südamerikaner, die sich trotz der Wärme in wollige Ponchos gehüllt hatten, Folklore. Nach dem Alter der Musiker zu urteilen, konnte es sich um die Kinder der damaligen Flüchtlinge handeln, die uns nach dem Putsch gegen Allende das Wort Venceremos beigebracht hatten.
    Bis zu meinem Fahrrad, das ich neben der Lambertikirche abgestellt hatte, passierte ich einen Jongleur, den Stand der Tierversuchsgegner und, direkt vor der Kirche, das Fanfarenkorps der Bundeswehr. Marketingberater nennen so etwas wohl Erlebniseinkauf. Am nächsten Samstag würde ich jedenfalls zum Aldi an der Ecke gehen.
    Samstag ist bei mir Haushaltstag. Das heißt, ich wasche, putze, sauge und nehme das dreckige Geschirr der letzten Woche in Angriff. Um vier war ich damit fertig. Bis zur Sportschau um sechs blieb mir noch Zeit für eine kleine Amtshandlung.
    Die Kellermannstraße ist nur ein paar Häuserblocks von meiner Wohnung entfernt. Dass Werner Meyer dort nicht mehr wohnte, hatte ich schon am letzten Abend festgestellt. Alles andere wäre auch übertriebenes Glück gewesen.
    Der Samstagnachmittag ist gerade die richtige Zeit für Überraschungsbesuche. Die Leute freuen sich auf die Grillparty oder Thomas Gottschalk und sind entspannt und hilfsbereit. Oder sie sind gestresst von den Vorbereitungen für die Party oder vom Familienstreit, der am Wochenende heftig aufblüht.
    Der Mann im Trainingsanzug schien sich für die zweite Möglichkeit entschieden zu haben. »Sie wünschen?«, bellte er mich an.
    »Ich hoffe, ich habe Sie nicht gestört«, heuchelte ich. »Ich suche einen alten Freund von mir: Werner Meyer. Er hat hier früher gewohnt.«
    »Kenn ich nicht«, spuckte mich der Trainingsanzug an.
    »Helmut!«, rief eine Frau aus dem Hintergrund.
    »Entschuldigen Sie, meine Frau«, und die Tür war zu.
    Nebenan erging es mir nicht viel besser. Immerhin konnte ich aus der genervten Frau herauskriegen, dass die Frau Buddeberg im zweiten Stock schon seit mindestens zwanzig Jahren dort wohnte.
    »Kommen Sie doch herein«, bat mich Frau Buddeberg, nachdem ich meinen Spruch aufgesagt hatte. »Ich habe gerade Kaffee aufgesetzt. Dann können wir uns in Ruhe unterhalten.«
    Wir kamen durch einen muffigen Flur in ein muffiges Wohnzimmer. Der Wellensittich auf der Anrichte guckte mich schräg an. Er überlegte wohl, ob er mir eins von seinen schmutzigen Wörtern an den Kopf knallen sollte.
    Sie hatte noch keinen Kaffee aufgesetzt, aber sie tat es extra für mich. Außerdem zauberte sie ein Stück Sahnetorte auf den Tisch, das innen drin noch nicht aufgetaut war. Ich lutschte an dem Kuchen, nippte an dem Kaffee und hörte ihr zu.
    »Ich erinnere mich noch gut an den Herrn Meyer. Er hat mir immer die Einkaufstasche getragen, wenn er mich vor dem Haus gesehen hat. Mein Mann ist ja 47 gestorben, in russischer Gefangenschaft. Danach habe ich nicht mehr geheiratet. Männer waren rar damals. Leider habe ich nicht viel von meinem Eugen gehabt. Kriegshochzeit, verstehen Sie. Drei Tage Fronturlaub, dann war er wieder weg.«
    Ihre wässrigen, rot umränderten Augen fixierten mich. Ich nickte und konzentrierte mich auf den Kuchen. »Und der Herr Meyer?«, fragte ich kauend.
    »Ach ja, Sie sind ja wegen dem Herrn Meyer da. Und

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