Und die Toten laesst man ruhen
Gebäude.
Im obersten Stockwerk fand ich schließlich die zweitbeste Lösung: eine Tür mit der Aufschrift Direktion. Feinere Einbrecher hätten es sicher eleganter gemacht, ich dagegen fischte ein Stemmeisen aus meinem Rucksack und machte es auf die brutale Tour. Die Tür gab nach und ich stand im Büro der Chefsekretärin, soweit ich das im Licht der Taschenlampe erkennen konnte. Sofort nahm ich die Zwischentür in Angriff, die mich von Wilma Pobradts Schreibtisch trennte. Das Holz krachte und splitterte. Ich war mächtig in Form.
Ihr Schreibtisch sah ziemlich barock aus und es tat mir ein bisschen leid um das schöne Furnier. Aber alles andere, als ihn aufzubrechen, wäre halbe Arbeit gewesen. In der obersten Schublade lag eine Telefonliste mit den Angaben, die ich suchte. Ein Herr Brinkmann leitete das Personalbüro gleich nebenan.
Bevor ich ging, nahm ich alle Bilder von den Wänden und hieb mit dem Stemmeisen einige Male auf das Zahlenschloss des Tresors, der sich hinter einer besonders schönen Industrielandschaft versteckte. Das sollte der Polizei genügend Stoff zum Nachdenken geben. Dann rückte ich Herrn Brinkmann auf die Bude.
Das Erste, was ich sah, war ein Computer. Beim zweiten Rundblick atmete ich erleichtert auf. In der Ecke standen vier graumetallene Aktenschränke. Offensichtlich misstraute Herr Brinkmann dem Computerzeitalter genauso wie ich. Und um mein Glück perfekt zu machen, hatte er die Personalakten alphabetisch geordnet. Unter Meyer, Werner fand sich die Eintragung: Stellvertretender Betriebsleiter 1.3.1968–30.9.1969. Und auch eine Adresse: Kellermannstraße. Gleich bei mir um die Ecke.
In dem Hochgefühl, saubere Arbeit geleistet zu haben, stürmte ich die Treppe hinunter. Bis ich Schritte hörte – und eine Stimme: »Wer ist da?«
Der Nachtwächter hatte seine Route geändert, vermutlich auch nach Plan. Ich hielt die Luft an und linste um die Ecke. Ungefähr zehn Meter von mir entfernt blinkte eine Taschenlampe. Der Nachtwächter stand genau da, wo er nicht sein sollte: zwischen mir und den Fenstern. Und zu allem Überfluss kam er geradewegs auf mich zu.
Vorhin hatte ich bei ihm keine Pistole entdeckt, also ließ ich es darauf ankommen. Als er noch einen Meter entfernt war, schnellte ich um die Ecke, packte ihn an der Jacke und stieß ihn gegen die Wand. Er machte einen Ton, der irgendwo zwischen Schmerz und Überraschung lag. Außerdem plumpsten zwei Gegenstände auf den Boden. Der eine war die Taschenlampe, der andere hatte die Umrisse einer Pistole.
»Hör zu«, zischte ich ihn an, wobei mir sein Knoblauchatem ins Gesicht schlug, »du hast zwei Möglichkeiten. Entweder ich schlage dich auf der Stelle bewusstlos oder du wartest hier fünf Minuten, bevor du Alarm schlägst. Was willst du?«
»Warten«, keuchte er mit türkischem Akzent.
»Okay, wenn du dich nicht daran hältst, komme ich in einer der nächsten Nächte zurück und du bist reif. Verstanden?«
»Jaja«, piepste er.
Ich drehte ihn um, sodass er mit dem Gesicht zur Wand stand. »Beine breit und Hände an die Wand!«, kommandierte ich. Er folgte gehorsam. Dann nahm ich die Pistole und ging langsam rückwärts zu den Fenstern.
»Rühr dich ja nicht, Freundchen!«, brüllte ich noch, bevor ich durchs Fenster verschwand und Fersengeld gab. Allzu viel Vertrauen in seine Ehrlichkeit hatte ich nicht.
Als ich im Auto saß, war ich völlig geschafft. Vorsichtshalber fuhr ich stadtauswärts und machte einen riesigen Umweg. Unterwegs warf ich die Pistole und meine Gesichtsmaske aus dem Fenster. Den Rucksack mit den Einbruchswerkzeugen vergrub ich an einer markanten Stelle im Wald. Für alle Fälle wollte ich das Zeug vorläufig nicht im Haus haben.
Kurz vor Mitternacht war ich zu Hause. Als ich die Tür öffnete, klingelte das Telefon.
»Hier ist Katharina«, sagte sie.
»Hallo, Katharina«, antwortete ich.
»Ich möchte dich zu einer Fete einladen, morgen Abend bei mir.« Sie nannte die Adresse.
»Ist dein Bruder auch da?«
»Nein.«
»Gut, dann komme ich.«
»Schön«, sagte sie.
Damit war das Gespräch auch schon beendet. Ich legte den Hörer auf und bemerkte, dass ich vergessen hatte, die Handschuhe auszuziehen. Ganz gegen meine Gewohnheiten nahm ich einen kräftigen Schluck Whisky und eine Schlaftablette. Sonst hätte ich in dieser Nacht vermutlich kein Auge zugetan.
IX
Ich stieß einen spitzen Schrei aus, den die alte Dame völlig ignorierte. Sie hatte mir ihren Einkaufswagen in die Hacken
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