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Und die Toten laesst man ruhen

Und die Toten laesst man ruhen

Titel: Und die Toten laesst man ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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Luft über 12 Grad Celsius erwärmt.
    Werner Meyer war nicht gerade begeistert, einen alten Freund am Telefon zu haben, von dem er noch nie etwas gehört hatte.
    »Ich kenne Sie nicht«, bellte er mich an. »Was wollen Sie?«
    »Seien Sie doch nicht so unfreundlich«, redete ich ihm zu. »Ich will nur ein paar Auskünfte. Wann kann ich Sie morgen treffen?«
    »Hören Sie«, knurrte er nach einer Schrecksekunde, »es gibt nichts, was wir miteinander zu besprechen haben. Also lassen Sie mich gefälligst in Ruhe!«
    »Es geht um Ihre Zeit in Münster«, redete ich unbeirrt freundlich weiter. »Sie waren damals mit Wilma Pobradt befreundet. Erinnern Sie sich?«
    Er atmete schwer. Nach dem, was ich seiner Frau erzählt hatte, musste er mit diesem Thema gerechnet haben.
    »Ja und?«, fragte er, als wir beide eine Zeit lang geschwiegen hatten.
    »Der Mann von Wilma Pobradt kam auf unglückliche Weise ums Leben. Die Polizei erkannte auf Selbstmord, aber seine Familie war davon überzeugt, dass er ermordet wurde.«
    »Und was habe ich damit zu tun?«
    »Mein Klient hat mich beauftragt, der Sache nachzugehen. Er ist ebenfalls davon überzeugt, dass es sich um Mord handelt.«
    Meyer fiel in seine alte Rolle zurück: »Jetzt reicht es mir aber. Können Sie die Toten nicht ruhen lassen? Die Polizei hat damals alles Notwendige getan. Für mich ist die Sache erledigt.«
    »Hat die Polizei tatsächlich alles Notwendige getan?«
    Er blieb am Apparat. Ein Zeichen, dass er wissen wollte, was ich wusste.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Meines Wissens sind Sie nie als Zeuge vernommen worden.«
    »Warum sollte ich? Ich habe Frau Pobradt erst näher kennengelernt, als alles vorüber war.«
    »Sie kannten sie aber schon vor dem Tod ihres Mannes.«
    »Flüchtig. Wir sind uns ein-, zweimal auf Festen begegnet.«
    Ich hatte ihn vermeiden wollen, den berühmten Schuss ins Blaue. »Als der Krankenwagen eintraf, um den dreivierteltoten Karl Pobradt abzuholen, standen zwei Männer vor dem Sterbezimmer. Ich habe einen Zeugen, der behauptet, Sie waren einer der beiden Männer.«
    Die Leitung knackte, als ob sich drei Verfassungsschützer zugeschaltet hätten. Ich starrte an die Decke und zählte die Sekunden. Endlich war er soweit. Und ich wusste gleich, dass ich getroffen hatte.
    »Das kann nicht sein. Wer behauptet so etwas?«
    »Ich möchte meinen Informanten nicht gefährden. Aber seien Sie versichert, dass das ein Detail ist, das die Polizei noch heute interessiert.«
    »Waren Sie bei der Polizei?«
    »Noch nicht. Und wenn Sie bereit sind, mich morgen zu treffen, könnte ich es mir noch einmal überlegen.«
    Diesmal brauchte er nur die halbe Bedenkzeit. Wir verabredeten uns um fünf Uhr in einem Lokal in der Kantstraße.
    Willi dachte wahrscheinlich, dass ich mein schlechtes Gewissen beruhigen wollte, als ich zum Ladenschluss mit einer Flasche Sekt aufkreuzte. Mir war das wurscht.

XI
     
     
    Der antifaschistische Schutzwall war auch nicht mehr das, was er früher einmal war. Ich hatte eine Anhalterin mitgenommen, die unentwegt von Mauerfeten schwärmte. Sie ging auf Krücken, weil sie sich bei einem Sprung von der Mauer einen Kreuzbandriss zugezogen hatte. Ich spendierte ihr in einer DDR-Raststätte ein komplettes Menü für sieben Mark fünfzig und setzte sie auf dem Ku'damm ab.
    Das Lokal, in dem ich Werner Meyer treffen sollte, war bevölkert mit Geschäftsleuten, die sich trotz Bräunungsstudio, Lifting und bestem Willen nicht mehr zur Yuppie-Generation zählen konnten. Vorsorglich hatte ich selbst eine Krawatte und einen Anzug angelegt, sodass ich nicht weiter auffiel.
    Ich erkannte Werner Meyer an seinem unruhigen Blick. Wir begrüßten uns und ich bestellte einen Campari-Orange. Vor zwanzig Jahren musste Meyer ein gut aussehender junger Mann gewesen sein. Jetzt quoll ihm der Bauch über den Gürtel und die Haut unter seinem Kinn machte erste Anstalten, sackartig herunterzuhängen. Vor allem aber hatte er eine ungesunde gräuliche Gesichtsfarbe.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragte ich deshalb.
    »Ich habe schlecht geschlafen«, antwortete er. »Bis gestern habe ich geglaubt, dass die ganze Geschichte begraben und vergessen ist.«
    Von dem Kerl, der mich am Telefon angebrüllt hatte, war nur noch ein mitleiderheischendes Wesen übrig geblieben. Ich sah mich gezwungen, ihn ein wenig aufzubauen: »Wenn die Wahrheit erst mal raus ist, geht's Ihnen besser, glauben Sie mir!«
    Er machte einen Ton, der sich entfernt wie ein Lachen anhörte.

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