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Und die Toten laesst man ruhen

Und die Toten laesst man ruhen

Titel: Und die Toten laesst man ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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weißgeschminkten Gesichtern angesagt. Ich hatte zwar meine Krawatte in die Tasche gesteckt, fühlte mich aber immer noch falsch angezogen.
    Während das Hammelfleisch auf meinem Teller rapide abnahm, zupfte Gabi gelegentlich an ihren Calamaris. Die Asche der letzten Monate, die sich in ihr angesammelt hatte, glühte noch einmal auf. Meine Aufgabe bestand darin zuzuhören und ab und zu »Hmm« zu sagen.
    Nach etwa einer Stunde war der gröbste Schutt beseitigt. Gabis Gesichtszüge entspannten sich und sie kramte ein schiefes Lächeln heraus.
    »Ich langweile dich.«
    »Nein, überhaupt nicht. Die Geschichten kenne ich, das stimmt. Es sind die gleichen wie letztes Jahr, und die hatten verdammte Ähnlichkeit mit denen vor zwei Jahren. Dafür gibst du mir das Gefühl, ein großer, verständnisvoller Bruder zu sein.«
    »Dabei hast du doch schon eine Schwester.«
    »Eben. Aber ist es beruhigend zu wissen, dass ich nicht der Einzige bin, dem das Leben die Sonnenseite vorenthält.«
    »Kein Glück bei den Frauen?«
    »Das ist noch zu viel gesagt. Sie halten mich vermutlich für ein geschlechtsloses Wesen.«
    »Nun übertreibst du aber.«
    »Na ja, es ist auch der Fall, an dem ich arbeite. Er nervt mich.«
    »Ich dachte, du spielst gerne Detektiv.«
    »Mal abgesehen davon, dass ich diesmal bedroht und zusammengeschlagen wurde, geht es hier um Mord, genauer gesagt um einen möglichen Mord, der vor zwanzig Jahren verübt wurde. Das ist etwas anderes als die entlaufenen Kinder und Ehefrauen und die kleinen Versicherungsbetrüger, denen ich sonst nachjage. Was ist, wenn ich den Täter finde? Soll ich ihn der Polizei übergeben? Es liegt mir einfach nicht, Schicksal zu spielen.«
    »Lass ihn doch laufen, wenn er dir sympathisch ist.«
    Wir tranken noch zwei Mokka und machten uns dann auf den Heimweg. Es war eine laue Nacht, und die Kids randalierten leiser als sonst. Ich rollte mich auf der Couch zusammen und dachte an Mörder, Richter und ihre Henker.

XII
     
     
    Es fing an zu regnen, als ich die Stadtgrenze von Münster erreichte. Das ist nicht immer so, sondern nur in neun von zehn Fällen, in denen ich mich weiter als dreißig Kilometer vom münsterschen Stadtkern entferne.
    Meine Wohnung roch nach abgestandener Luft. Ich riss die Gartentür auf, um ein bisschen Regenduft ins Zimmer zu lassen. Dann setzte ich mich in den Korbsessel, der auf der überdachten Terrasse stand, trank eine Flasche Bier und sah den Blumen zu, wie sie den Regentropfen auszuweichen versuchten.
    Zehn unfruchtbare Gedanken später klingelte das Telefon. Es war Katharina: »Du musst vorbeikommen. Dieser Kriminalrat war da und hat mit Mutter geredet.«
    »Merschmann?«
    »Ja, so hieß er, glaube ich. Mutter möchte dich noch heute sehen.«
    »Ich bin gerade aus Berlin zurückgekommen und ziemlich müde. Können wir das Gespräch nicht auf morgen verschieben?«
    »Ich würde dir raten, heute zu kommen. Kann sein, dass sie dich morgen nur noch mit ihrem Rechtsanwalt sprechen lässt.«
    Ich seufzte und sagte zu. Anschließend zwängte ich mich in den grauen Gerichtsterminanzug und legte eine blauseidene Krawatte an. Wenn, dann wollte ich in aller Form untergehen.
    Der Aasee ließ sich von einem Regenschauer peitschen, als ich an ihm vorbeifuhr. Katharina öffnete die Tür. Sie gab sich sehr zurückhaltend. Vielleicht hatte sie zugehört, als Merschmann über mich redete.
    Im Wohnzimmer war der Blick auf die Weihnachtsbaumgalerie vor dem Fenster von der einsetzenden Dunkelheit getrübt. Aus einem der Sessel erhob sich eine Frau, die weder zierlich noch groß war. Sandfarbenes Haar fiel auf ihre Schultern.
    »Mach doch bitte das Licht an, Katharina«, sagte sie mit einer Stimme, die in Solingen hergestellt worden war. Gut möglich, dass man damit Männerherzen zersägen konnte.
    Ein Kristallleuchter glühte auf, und wir standen uns auf der Bühne gegenüber. Bei Licht besehen reichte sie mir bis zur Schulter. Allerdings hatte ich nicht das Gefühl, dass sie zu mir aufblickte.
    »Georg Wilsberg«, sagte ich und streckte die Hand aus.
    »Wilma Pobradt.« Ihre Hand blieb an der Rocknaht.
    Langsam ließ ich die Hand wieder sinken. Die Zehntelsekunden rauschten vorbei. In hundert Metern Entfernung hupte ein Auto.
    »Setzen Sie sich!«, sagte sie, als ich schon nicht mehr wusste, wie ich stehen sollte. Ihre dunklen Augen krallten sich in die meinen und ich hatte alle Mühe, den Teppich nicht nach Flecken abzusuchen.
    Früher war sie zweifellos schön gewesen.

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