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Und die Toten laesst man ruhen

Und die Toten laesst man ruhen

Titel: Und die Toten laesst man ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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halber Lebensgröße zusammen.
    »Und was haben Sie in der Wohnung gemacht, wenn Sie schon nicht am Mord beteiligt waren?«
    »Sie hat mich angerufen«, sagte er kleinlaut.
    »Wann?«
    »Nachher, ich meine, als er schon … als er schon fast tot war. Sie sagte: Komm schnell, es ist etwas passiert! Karl stirbt.«
    »Sie sagte: Karl stirbt? Nicht: Karl hat sich angeschossen oder so etwas ähnliches?«
    »Nein. Beschwören kann ich das allerdings nicht. Als ich ankam, war der Nachbar schon da.«
    »Runze?«
    »Ja, Runze hieß er, glaube ich. Runze tat das einzig Richtige: Er rief einen Krankenwagen.«
    »Warum hat sie das nicht getan? Warum hat sie Sie angerufen? Aus schlechtem Gewissen?«
    »Sie war in Panik. In einer solchen Situation handelt man nicht so, wie man es mit kühlem Kopf tun würde.«
    »War sie nicht vielleicht bestürzt darüber, dass Karl Pobradt noch nicht ganz tot war? Wollte sie nicht möglicherweise abwarten, bis er verblutet war?«
    »Nein, ganz bestimmt nicht. So ein Typ war, ist sie nicht. Sie kennen sie nicht, sonst würden Sie so etwas nicht sagen.«
    »Na schön. Kehren wir zu Ihnen zurück, Herr Meyer. Als der Krankenwagen eintraf, befanden Sie sich in der Wohnung. Ist das richtig?«
    »Ja.«
    »Als jedoch ein paar Minuten später die Polizei aufkreuzte, waren Sie nicht mehr da. Ist das auch richtig?«
    »Ja.«
    »Was ist in der Zwischenzeit passiert? Sie hätten eine Zeugenaussage machen müssen. Der Polizei Informationen vorzuenthalten, ist strafbar.«
    »Sie bat mich zu gehen«, sagte er mit leiser Stimme. »Sie sagte, das könne ein schlechtes Licht auf uns werfen. Mit Runze würde sie schon klarkommen.«
    Es brachte mich in dem Fall nicht weiter, aber ich glaubte ihm. »Eine letzte Frage: Warum haben Sie Wilma Pobradt nicht geheiratet? Warum sind Sie nach Berlin gegangen?«
    Er schaute aus dem Fenster. Auf dem Bürgersteig wurde gerade ein verkrüppelter Baum von einem kleinen Hund angepisst.
    »Wir waren noch eine Zeit lang zusammen. Aber es war nicht mehr so wie vorher.«
     
    In meinen Studenten- und WG-Zeiten hatte ich einige Jahre mit Gabi die Küche und das Badezimmer geteilt. Wir verstanden uns so gut, wie man sich nur verstehen kann, wenn man sich nicht liebt. Nach dem Studium verlor ich sie aus den Augen. Und Jahre später schrieb sie einen Brief aus Berlin, in dem sie mir mitteilte, dass sie jetzt ein Kind habe und einen Typen, mit dem sie manchmal glücklich und meistens unglücklich sei. Seitdem besuche ich sie, wenn ich zufällig nach Berlin komme.
    Gabi wohnte in einer renovierten Altbauwohnung im Wedding. In den fünf Zimmern konnte man sich verlaufen, wenn man wollte. Man konnte aber auch vor dem Kachelofen im Wohnzimmer sitzen bleiben und die gemütliche Wärme genießen. Was ich meistens tat, wenn ich sie besuchte.
    Diesmal war es zufällig nicht Winter, als ich Gabi anrief, um das komplizierte Berliner Haustürsystem zu überwinden. Zwei Minuten später öffnete Gabi die Tür. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen und eine Fahne, die nach Weinbrand roch. Wir umarmten uns und sie zog mich ins Wohnzimmer.
    »Willst du einen Cognac?«
    Ich sagte nicht Nein.
    »Du siehst alt aus«, stellte sie fest, als wir unsere Gläser geleert hatten.
    »Ich habe in letzter Zeit viel mit alten Leuten zu tun. Vielleicht färbt das ab.«
    »Ein Fall?«
    Ich nickte. »Wie geht's dem Kind?«
    »Gut. Ich habe ihn heute Abend zu einer Freundin gebracht, damit wir uns in Ruhe unterhalten können.«
    »Und Tom?«
    »Er ist weg.« Sie setzte ein geschäftsmäßiges Lächeln auf. »Vor zwei Wochen ausgezogen. Es ging nicht mehr so weiter.«
    Ich betrachtete die braune Flüssigkeit in meinem Glas, die sie nachgefüllt hatte. Tom war schon dreimal ausgezogen und dreimal wieder eingezogen.
    »Diesmal ist es endgültig«, sagte sie, als hätte sie meine Gedanken erraten. »Jeden zweiten Tag kam er stockbesoffen nach Hause, morgens um sieben oder zehn. Manchmal hat er auf den Teppich gekotzt oder neben das Klo gepinkelt und ich durfte den Dreck wegmachen. Ich habe die Schnauze voll bis hier.« Sie machte eine Handbewegung. »Dass er mich nicht geschlagen hat, ist alles.«
    Ich blickte auf. »Sollen wir nicht essen gehen?«
    Wir gingen in das griechische Restaurant an der Ecke, wo wir immer hingingen. Es wurde von einer Gruppe Designstudenten gemanagt, die ihre selbst entworfenen Kleidermodelle mit Lammkeule und Moussaka präsentierten. In diesem Frühling waren schwarze und graue Gewänder zu

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