Und die Toten laesst man ruhen
»Wahrheit! Das ist doch alles graue Vorzeit. Die Wahrheit ist, dass ich seit fast zwanzig Jahren in Berlin lebe, einen gut bezahlten Job habe, eine Frau und zwei Kinder, die mittlerweile schon erwachsen sind. Lassen Sie die Vergangenheit da, wo sie ist!«
Ich befreite mein Campari-Glas von einer aufgesteckten Zitronenscheibe. »Es geht nicht um mich. Ich werde dafür bezahlt, dass ich herauskriege, was damals passiert ist. Was mein Klient dann mit den Informationen macht, ist seine Sache.«
Seine Hände umkrallten das halb volle Bierglas.
»Fangen wir chronologisch an«, schlug ich vor. »Sie waren mit Frau Pobradt befreundet – vor dem Tod ihres Mannes.«
»Sie war eine Wucht«, sagte er unvermittelt. Ein leichter Glanz tauchte in seinen stumpfen Augen auf. »Sie hat mir den Kopf verdreht. Ich wollte erst gar nicht, weil ihr Mann uns beobachtete. Aber sie sagte: Quatsch, stör dich nicht dran! Wenn Sie sie sehen würden, ich meine, so wie sie damals ausgesehen hat, Sie würden mir glauben, dass da kein Mann standhaft bleiben konnte. Und es war ja nicht nur das Aussehen. Sie hatte so was … Sie wusste jedenfalls genau, was sie wollte. Und sie wusste auch, wie sie es kriegte.«
»Sie hat Sie also gekriegt?«, fragte ich überflüssigerweise.
»Ja, mit Haut und Haaren. Ich war ihr verfallen, vom ersten Augenblick an. Ich wusste nicht, ob sie mit mir spielte, aber das war mir egal. Sie brauchte nur zu pfeifen und ich kam.«
»Wie lange ging das so?«
»Ungefähr ein halbes Jahr. Wir trafen uns, wenn ihr Mann unterwegs war. Oft tagsüber. Die Frau war auch im Bett ein Vulkan, entschuldigen Sie die Ausdrucksweise.«
Als Poet überzeugte er mich nicht, aber das verschwieg ich. »Ihr Mann wusste davon?«
»Er ahnte es. Manchmal hat er ihr Vorhaltungen gemacht. Sie ließ sich jedoch nicht beirren. Irgendwann merkte ich, dass mir ein Schnüffler folgte. Es war nicht sehr schwer, ihn abzuschütteln, er war gehbehindert. Danach sind wir noch vorsichtiger geworden. Wir trafen uns nur noch in Hotels oder an abgelegenen Orten.«
»Warum sollte Pobradt einen Privatdetektiv engagieren?«
»Er wollte sich scheiden lassen, das war doch klar. Und sie sollte die Schuld zugesprochen bekommen – wegen der Unterhaltszahlung. Damals gab es das noch: schuldig geschieden. Heute …« Meyer wackelte mit dem Kopf.
Ich sagte: »Nach dem, was ich gehört habe, hat Karl Pobradt seine Frau geliebt.«
Zum ersten Mal zeigte sich ein höhnisches Grinsen auf Meyers Gesicht. »Geliebt? Dass ich nicht lache. Vielleicht am Anfang. Später nicht mehr. Geschlagen hat er sie. Sie hat mir die blauen Flecken gezeigt. Nicht ins Gesicht natürlich, er musste ja mit ihr zu irgendwelchen Empfängen gehen. Einmal hat er ihr einen Fausthieb in den Magen versetzt, den Abdruck konnte man noch nach zwei Tagen sehen.«
So einer war Karl Pobradt also. Immerhin hatte ich jetzt die Rechtfertigung für den Mord. Was ich noch brauchte, war das Geständnis. Vorsichtig schaute ich mich um, ob an den Nebentischen jemand zuhörte. Es schien so, als ob alle noch an der Bilanz des letzten Monats zu knabbern hätten.
»Deshalb musste er sterben«, zischte ich.
»Nein.«
Ich beugte mich vor: »Wieso nein? Sie haben mir gerade klipp und klar erklärt, dass er ein Scheißkerl war. Sein Tod war das Beste, was Ihnen und Wilma Pobradt passieren konnte. Wilma erbte das gesamte Vermögen und Sie hatten Wilma für sich allein.«
»Nein«, sagte er mit gequälter Stimme. »So war es nicht. Glauben Sie mir!«
»Wie war es denn?«
»Ich weiß es nicht. Das heißt, ich bin sicher, dass es Selbstmord war.«
Das konnte ich ihm nicht durchgehen lassen. »Wollen Sie mich verarschen? Ein Mann, der einen Privatdetektiv engagiert, weil er sich scheiden lassen will, bringt sich aus Verzweiflung darüber, dass der Detektiv gehbehindert ist, um? Wenn er seine Frau hasste, wie Sie mich glauben machen wollen, hätte er sie umgebracht und nicht sich selbst.«
Das Wasser auf Meyers Oberlippe wurde zu einer Pfütze. »Es ist aber so. Ich habe damit nichts zu tun.«
»Sie sind vielleicht nicht auf die Idee gekommen, ihn umzubringen«, sagte ich kalt. »Vermutlich hat Ihnen Wilma den Plan dreimal unter die Nase gerieben, bevor Sie anbissen.«
»Nein, Herrgott, sie ist genauso unschuldig wie ich.«
»Ach, war es der große Unbekannte, der durchs Fenster einsteigt, das Gewehr aus dem verschlossenen Schrank holt, Pobradt erschießt und dann wieder verschwindet?«
Meyer sackte zu
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