Und ewig seid ihr mein
oder Frau.
In dieser Hinsicht hätte Anubis Tessa Fahrenhorst die Fähigkeit zum Gebären genommen. Wenn sich Levy der Beschreibung ihres Sohnes erinnerte, so zeichnete er sie als eine Frau, die glaubte, durch seine Geburt einen Teil ihres Lebens versäumt zu haben. Ihre Reaktion darauf war ein Sich-Lösen von der Familie, die Flucht hinein in die Selbstständigkeit und ein fast schon psychopathologisches Aufsaugen jeder Sekunde Lebenszeit.
Wenn dem so war, was sagte diese Erkenntnis über die Wahl von Anubis aus?
War auch er mit einer Tessa Fahrenhorst verheiratet, die ihn verlassen hatte, und war sie somit die Vertreterin einer Frau, an der er sich für das zugefügte Leid rächen wollte?
Wie passte das mit Eberhard Finger zusammen?
Dirk Sauter, der Hohepriester und Satanist, hatte ausgesagt, dass er den Atmungstrakt achtlos in den Fluss geworfen hatte. Diese Entscheidung war also nicht von Anubis selbst getroffen worden. Konnte es aber nicht so gewesen sein, dass Anubis seinen Satanisten durchaus kannte und einschätzen konnte? Er wusste ja auch, wozu die Organe bei den rituellen Messen verwendet wurden. Ein Herz stand an erster Stelle, dann womöglich eine Leber, dann eine Niere …
Hatte Anubis damit kalkuliert, dass Sauter ebenjenen Atmungstrakt als untauglich für seine Zwecke ansah und ihn daher entsorgte? Dann müsste es mit sehr viel Menschenkenntnisoder mit einem sehr unkalkulierbaren Zufall zugegangen sein.
Zu viele Konjunktive. Levy war nicht zufrieden.
Dennoch, wofür stand der Atmungstrakt eines Musikers? Es war der Blasebalg, um dem Instrument die Töne zu entlocken. Aber wieso war die Luftröhre bis hinauf zur Zunge dem Organ noch verhaftet?
Soweit Levy sich an das Spiel mit einem Blasinstrument erinnerte, spielten die Lippen, aber auch die Zunge eine wichtige Rolle. Mit ihnen modulierte der Bläser sein Spiel.
Was wollte Anubis zum Ausdruck bringen?
Eine Antwort war: Das Spiel beenden.
Levy überkam ein seltsames Gefühl. Er konnte es nicht genau benennen, aber irgendetwas in ihm sagte: Mach weiter. Finde den Grund.
In seinen Notizen stand noch die Telefonnummer. Er würde es einfach probieren.
Er wählte und wartete.
«Finger», hörte er.
«Hier Balthasar Levy. Sie erinnern sich noch an mich?»
«Ja, sicher. Das war doch erst vor ein paar Tagen.»
«Frau Finger, wissen Sie zufällig, zu welchen Anlässen Ihr … verstorbener Mann gespielt hat?»
«Ach, das war völlig unterschiedlich.»
«Geht es etwas genauer?»
«Na ja, zu Jubiläen, zu Firmenfesten, Kirmes, … solche Sachen. Es wurde Gute-Laune-Musik gewünscht, und dafür war die Combo prädestiniert. Die konnten alle Titel aus der deutschen Hitparade bis …»
Levy unterbrach. «Das reicht schon, Frau Finger.» Das war nicht die Antwort, auf die er gehofft hatte. Welche war es dann? Er wusste es nicht, konnte es nicht benennen. Doch ein Gefühl sagte ihm …
«Können Sie eine Verbindung zwischen Ihrem Mann, ich meine, in seiner Tätigkeit als Musiker, und Wasser herstellen?» Levy versuchte das Organ Fingers mit dem Fundort in einen Kontext zu bringen. Ein wirrer Gedanke.
«Ich verstehe nicht.»
«Ihr Mann als Musiker, was könnte er mit Wasser zu tun gehabt haben? Ich meine, Wasser wie im Meer oder in einem Fluss.»
Anne Finger hatte mit der Frage schwer zu schaffen. Sie brauchte eine Weile. «Das Einzige, was mir dazu einfällt, ist, dass er im Sommer viele Termine auf Schiffen hatte.»
Bingo. Das war die richtige Antwort. Jetzt ergab es Sinn.
Er verabschiedete Anne Finger schnell und notierte die neue Erkenntnis unter der jeweiligen Rubrik an der Wand.
Die Antwort lautete: Eberhard Finger sollte das Musizieren einstellen. Besonders im Sommer, wenn es zahlreiche Termine auf Ausflugsbooten gab. Aber nicht nur im Sommer.
Finger sollte das Musizieren schlechthin, das Fernbleiben von zu Hause einstellen.
Warum?
Mögliche Antwort: Weil er zu Hause vermisst wurde?
In Fingers Fall war die Antwort zweischneidig. Sein Zuhause definierte er laut Zeugenaussagen immer öfter in den Armen und Betten seiner Liebschaften.
Das würde bedeuten …
Levy verwarf den Gedanken. Das schien ihm zu abstrus. Oder konnte er sich in einem Menschen so täuschen? Anne Finger wollte ihren Mann wieder für sich haben. Koste es, was es wolle.
Traf das auch auf Tessa Fahrenhorst zu? Kannten sich Anne Finger und sie? Nein, nach seinem Kenntnisstand nicht.
Aber wenn diese Logik auch bei Tessa Fahrenhorst anzuwenden
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