Und ewig seid ihr mein
wäre, dann stellte sich die Frage, was der Fundort ihrer Geschlechtsteile ausgerechnet in einer Babyklappe zu bedeuten hatte.
Eine Babyklappe steht für das Aufgeben von Verantwortung, Trennung und Abschieben des eigenen Kindes, den Hilfeschrei einer Verzweifelten. Welche Aussage machte das Ablegen der gebärfähigen Geschlechtsorgane einer Frau in einer Babyklappe?
Der Täter hatte Tessa Fahrenhorst symbolisch die Fähigkeit genommen zu gebären. Darüber hinaus gab er den Gebärapparat in Pflege, oder anders ausgedrückt, er gab ihn zurück an die, die dem Wohl der Kinder dienten. Was wollte er damit ausdrücken?
Du Schlampe hast es nicht verdient, Kinder zu gebären!
Tatjana war ein Mädchen gewesen, das gerade die ersten erwachsenen Gefühle für sich entdeckt hatte. Sie war im eigentlichen Sinne unschuldig, jungfräulich, naiv.
Und dazu kam jetzt noch ein zweites Kind. Nun, nicht ganz. Der Junge war, wie Tatjana, ein Jugendlicher, der sich aufschwang, nach seinen eigenen Vorstellungen zu leben. Ein Rotzlöffel, der den überbordenden Gefühlen eines Heranwachsenden freien Lauf ließ.
Levy rauchte der Kopf.
Wenn er nur mit zehn Prozent seiner aufgestellten Hypothesen Recht behalten sollte, dann war er bedeutend weiter als seine Kollegen in diesem Stadium der Ermittlungen. Wenn er nur Unsinn produziert hatte, dann bestätigte sich Michaelis’ Meinung von ihm.
Wie sollte es jetzt weitergehen?
Levy stellte die Opferanalyse vorerst zurück. Etwas Abstand konnte nicht schaden. Vielleicht ergab sich etwas aus dem Moment.
Er wandte sich dem Täter zu: Anubis.
Nur wenn er Opfer und Täter auf einer Ebene nebeneinander stellte, würde er die notwendigen Schlüsse auf seine Identität ziehen können.
Wo sollte er anfangen?
Ein arabisches Sprichwort lautete: Der Anfang liegt in der Mitte. Was so viel heißt wie: Fang irgendwo an, Hauptsache, du beginnst. Irgendwann werden sich der Anfang und das Ende zeigen.
Levy griff zum Filzstift und malte in großen Lettern ANUBIS neben den vier Opfern an die Wand.
ZWEITER TEIL
LEVY
1
Anubis saß im Labor und starrte auf das leere Andreaskreuz.
Wenn alles nach Plan gelaufen wäre, dann würde an ihm nun der Junge hängen – geöffnet und gereinigt, bereit für den Übertritt in die Ewigkeit.
Doch das Kreuz blieb verwaist, und Anubis haderte mit sich und der verpassten Chance. Einen neuen Jungen zu finden würde ihn mehrere Tage kosten. Diese Zeit hatte er nicht. Die Zusammenkunft stand kurz bevor.
Der Gedanke, den Jungen fallen zu lassen, gefiel ihm nicht. Dennoch, es würde ihm nichts anderes übrig bleiben. Denn eine Person war viel wichtiger. Sie war es gewesen, die ihn hintergangen und vor allen anderen verraten hatte. Die Erinnerung an sie war ihm in die Seele eingebrannt.
Der Strand tauchte vor seinem Auge auf. Die Familie war versammelt, feierte ausgelassen und genoss den warmen Spätsommerabend.
Tante Kati scherzte mit Onkel Klaus und den zwei aufmüpfigen Kindern, Roy und Teresa, die nur ein Jahr älter waren als er. Sie sprangen um die aufgerichteten Scheite des großen Lagerfeuers, das er an diesem Abend entzünden würde. Er beobachtete jeden ihrer Schritte. Wenn sie sich den Scheiten näherten, würde er sich ihnen entgegenstellen.
Er selbst saß still neben seinem Onkel. Rinus war der Bruder seiner Mutter und deren Schwester Johanna, die sich Janis nennen ließ, ihrem großen Idol Janis Joplin zu Ehren. Sie war, wie er selbst, einer der beiden Außenseiterder Familie. Sie lebte in Amsterdam in einer Kommune, konsumierte alle Formen von Rauschgift und pflegte flüchtige Beziehungen.
Ihr Mundwerk war ungezügelt, wenn es um die Rechtfertigung ihrer Lebensweise in der Familie ging. Hielt sich die Familie mit Kritik zu Beginn der Feier noch zurück, so hatte der Alkohol die Zungen im weiteren Verlauf gelöst und ein nicht enden wollendes Feuerwerk der Vorwürfe entfacht.
Nur seine Mutter, Janis’ Schwester, hielt zu ihr. Wenngleich sie nicht alles billigte, wofür Janis stand, so hegte sie starke Sympathien für den freien Lebenswandel der Schwester. In der Nähe Groningens, wo die Familie lebte, galt Janis als verlorenes Mädchen, vor der man die Kinder warnen und schützen musste.
Der Zorn auf seinen kleinen Bruder brannte an diesem Abend nicht wie sonst. Er war ganz im Bann des bevorstehenden Ereignisses. Er schaute hinüber zu seinem Vater, der nur mit Mühe Roy und Teresa folgen konnte, wie sie um eine Puppe stritten. Eine deutsche Kugel
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