Und ewig seid ihr mein
kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können. Sie hob sie aus dem Rollstuhl, und unter Schwierigkeiten gingen sie zu einem Karussell, das eigentlich für Kinder bestimmt war. Michaelis musste die Frau stützen, während sie sie im Kreis drehte.
Die beiden lachten viel und teilten offenbar eine Geschichte, von der Levy bisher nichts gewusst hatte. Wenn er genauer hinschaute, dann schätzte er die Frau auf Ende zwanzig. Könnte sie die kleine Schwester der Michaelis sein? Sie sahen sich nicht unähnlich.
Nach zirka fünfzehn Minuten verabschiedete sich die Michaelis. Sie ging schnell, fast hatte es den Eindruck, dass sie wegrannte. Als sie näher kam, erkannte er Tränen in ihrem Gesicht.
Das war also ihr Geheimnis. Die bärbeißige Karrieristin hatte doch ein Herz, so wie es Alexej vermutet hatte. Morgens spielte sie wie ein kleines Kind mit einer Freundin oder engen Verwandten, um kurz danach bei der Arbeit die strenge Einsatzleiterin zu mimen. Wenn das kein Doppelleben war.
Die Fahrt ging ohne Unterbrechungen weiter und endete schließlich vor der Einsatzzentrale. Der BMW verschwandin der Tiefgarage. Zuvor musste er eine Schranke passieren, die mit einer Sicherheitskarte zu öffnen war.
Die Mittagspause war noch gut vier Stunden entfernt. Wenn Michaelis keinen Termin außerhalb hatte, würde das für Levy bis dahin ein sehr teurer Vormittag werden. Er beschloss, den Taxifahrer zu bezahlen und sich ein paar Meter weiter in ein Café zu setzen.
13
«D r . Renden?»
Demandt stand in der offenen Tür eines zwei mal drei Meter kleinen Raumes. Das Fenster war vergittert und die Einrichtung spärlich. Lediglich ein Bett, Tisch und Stuhl und eine Toilette aus Edelstahl füllten die kleine Zelle.
An der Wand hatte der letzte Insasse mit deftigsten Schmierereien seinen abnormen Wünschen freien Lauf gelassen. Sie zeigten hastig hingekritzelte Zeichnungen von nackten Frauen in verrenkten Positionen und ejakulierende Penisse.
Der Mann im weißen Kittel lag auf dem Bett. Er schreckte hoch und griff müde nach seiner Brille am Boden.
«Ja, was gibt’s?»
Demandt trat näher und stellte sich vor.
Dr. Renden war älter, als Demandt erwartet hatte. Zumindest sah er mit seinem schütteren Haar älter aus. Die angeschwollenen Tränensäcke wiesen auf wenig Schlaf und viel Arbeit hin.
«Nils Jouwer hat mir Ihren Namen gegeben», begann Demandt, während er sich ungefragt auf dem Stuhl niederließ. «Es handelt sich um einen Patienten, der vor runddreißig Jahren hierher überstellt worden ist. Sein Name ist Frank de Meer …»
Demandt stockte. Im Augenwinkel sah er jemanden an der Tür vorbeihuschen.
«Frank de Meer», rätselte Dr. Renden. Seine Augen gewöhnten sich nur langsam an das helle Tageslicht. Während er sich den schmerzenden Nacken massierte und an die Decke schaute, suchte er dem Namen ein Gesicht zu geben. «Was war noch mal sein Problem?»
«Schwere Traumatisierung mit anschließenden fremd aggressiven Neigungen», antwortete Demandt.
«Haben Sie es nicht genauer? Das haben neun von zehn Patienten hier im Haus.»
«Bruderhass.»
«Wie hieß der Bruder?»
«Ruben.»
Jetzt war die Erinnerungslücke überwunden. «Frank und Ruben. Richtig, ich erinnere mich.»
Wieder musste Demandt zur Tür schauen. Da war jemand, der sie belauschte. Er sah die Person nicht, hörte nur ein Kratzen an der Wand. Auch Dr. Renden bemerkte es, maß ihm jedoch keine weitere Bedeutung zu.
«Was will ein deutscher Bundespolizist über Frank de Meer wissen?», fragte Dr. Renden.
Er schien nun völlig wach zu sein, gemessen an dem Lächeln und dem klaren Blick seiner Augen.
«Mich interessiert, welche Entwicklung Frank genommen hat, nachdem er aus dem Waisenhaus hierher überstellt worden ist.»
«Sie wissen natürlich, dass ich ohne richterliche Verfügung nicht über einen Patienten sprechen darf. Schon gar nicht mit einem Ermittler aus einem anderen Land.»
«Sicher», wiegelte Demandt ab. «Dennoch möchte ich Siebitten, mir ein paar Anhaltspunkte zu seiner Entwicklung zu geben. Die Details hole ich ein, wenn das Amtshilfegesuch genehmigt worden ist.»
«Ihr Deutschen», wunderte sich Dr. Renden, «immer korrekt den Dienstweg einhalten. Wenn Sie mir versprechen, was ich Ihnen sage, nicht gleich an die große Glocke zu hängen, dann geht das erst mal auch ohne die Erlaubnis eines Richters. Nicht, dass ich das Recht eines Patienten auf Verschwiegenheit regelmäßig verletze, aber bei Frank de
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