Und ewig seid ihr mein
Meer scheint mir eine Ausnahme vertretbar.»
«Vielen Dank. Ich weiß Ihre Bereitschaft zu schätzen.»
«Also, Frank, Jan, Ruben oder wie er sich zurzeit auch sonst wieder nennt: Was hat er angestellt?»
«Ich verstehe nicht. Wieso all die Namen?»
«Nun, das ist ein Teil seines damaligen Zustandes: die permanente Selbsterfindung.»
Demandt horchte auf. Hatte nicht Jouwer etwas über das sonderbare Verhalten von Ruben erzählt, als er nach dem Brandanschlag ins Heim zurückgekehrt war?
«Wir sprechen über Frank de Meer, nicht über seinen Bruder Ruben», wiederholte Demandt, um sicherzugehen, dass sie über dieselbe Person sprachen.
«Richtig», bekräftigte Dr. Renden, «trotzdem werden Sie die Leidensgeschichte Franks nur verstehen, wenn Sie sein Verhältnis zu Ruben mit einbeziehen.»
Das kam Demandt bekannt vor. Auch Jouwer hatte so argumentiert. Wieder huschte jemand an der Tür vorbei, darauf folgte das Kratzen an der Wand. Demandt und Dr. Renden registrierten es zur gleichen Zeit. Doch nur Demandt ließ sich dadurch beunruhigen.
«Können wir nicht die Tür schließen», schlug er vor, «ich habe das Gefühl, dass unser Gespräch nicht unter vier Augen bleibt.»
«Das geht leider nicht», widersprach Dr. Renden. «Wenn tagsüber eine Tür geschlossen ist, dann stehen im Handumdrehen zwei meiner Kollegen davor und schauen nach dem Rechten.» Dr. Renden wandte sich zur Tür, seine Stimme wurde lauter. «So ist es doch, Billie. Die Tür bleibt offen.»
Im Türrahmen erschien eine Hand, die das Taucherzeichen für ein Okay gab. Dann verschwand sie wieder.
«Machen Sie sich wegen Billie keine Gedanken», erklärte Dr. Renden, «er ist einfach sehr neugierig. Dennoch kann er intime Details für sich behalten.»
Wieder erschien das Handzeichen für ein Okay.
«Übrigens, das ist eine Eigenschaft, die Frank ebenso charakterisiert», fuhr Dr. Renden fort.
«Die Neugier?»
«Da war zum einen dieser fest verwurzelte Hass auf seinen Bruder und zum anderen seine außerordentliche Fähigkeit, alles zu tun, um es ihm heimzuzahlen.»
«Wie äußerte sich diese Fähigkeit?»
«In seiner Intelligenz und seinem Drang zu lernen. Er hatte das System schnell kapiert. Nach einer Akuttherapie wurde er in eine betreute Wohngruppe eingewiesen, unter der Auflage, dass er zwei Mal die Woche zur Therapie erscheinen musste.
Er lernte seine Triebe zu ergründen. Das ist, nebenbei gesagt, weit mehr, als draußen im normalen Leben von einem erwartet wird, zumindest was das Verständnis der Triebe angeht. Das hatte er recht schnell geschafft, wenngleich nur auf rationaler Ebene.»
«Was meinen Sie damit?»
«Er verstand den Trieb, doch er konnte ihn nicht zügeln. Das Unterbewusstsein, aus dem die Emotionen keimen, ist selbst für uns erfahrene Psychologen ein undurchdringbares Meer, in dem wir mit bloßen Händen im Trübenfischen. Was sich jenseits der Armlänge auf dem Wasser oder gar in seinen Tiefen abspielt, ist nach wie vor unbekanntes Gebiet.»
«Wie reagierte Frank auf diese Erkenntnis?»
«Er wollte von mir lernen. Die Psychologie erforschen, um in ihr Antworten auf seine Fragen zu finden. Natürlich verweigerte ich ihm diesen Wunsch. Viel zu spät habe ich festgestellt, dass er sich in meiner Bibliothek bedient hatte. Nach drei Jahren war er so weit, dass er das Examen an jeder Universität bestanden hätte. Wohlgemerkt, wir sprechen hier von einem Jugendlichen zwischen dem zwölften und dem fünfzehnten Lebensjahr. Er war außergewöhnlich. Es ging so weit, dass er die ersten Computer hier im Hause wartete und die Einführungskurse für das Personal abhielt. Er war nach kurzer Zeit für den reibungslosen Ablauf in der computergestützten Verwaltung unverzichtbar. Das war das eine Gesicht, das andere war weitaus besorgniserregender.»
«Und das war?»
«Frank ließ dem Drang freien Lauf, seine erlernten Erkenntnisse skrupellos in die Tat umzusetzen. Statt zwei Mal die Woche zu erscheinen, kam er täglich. Nicht zu seinen eigenen Sitzungen, sondern er führte Gespräche mit anderen Patienten. Es endete damit, dass er die Schwächen und Probleme seiner Patienten ausnutzte und sie gegeneinander aufhetzte.»
«Er praktizierte als Psychologe?», fragte Demandt.
«Natürlich nicht. Aber er führte eine Sprechstunde ein und begann zu therapieren. Als ich davon erfuhr, schritt ich sofort ein. Aber für einen Patienten kam jede Hilfe zu spät. Er hieß Rocco und litt unter anderem an einer
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