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Und Finsternis wird kommen

Und Finsternis wird kommen

Titel: Und Finsternis wird kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isaac Asimov
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auf dem Gesicht des Psychologen.
    »Ich verstehe. Berufsehre, nicht wahr?«
    »So können Sie es nennen. Aber Mann, ich würde meinen rechten Arm für eine zweite Flasche von dem Gesöff geben, von dem Sie vorhin den Großteil geschluckt haben. Wenn jemals ein Mann einen Drink gebraucht hat …«
    Er brach ab. Sheerin stieß ihn heftig an.
    »Hören Sie das?« Er wies mit dem Kinn auf den Kultisten, der aus dem Fenster starrte und alles um sich herum vergessen zu haben schien. Wilde Begeisterung zeigte sich auf seinem Gesicht, und er summte in eintönigem Singsang vor sich hin.
    »Was sagt er?« fragte der Reporter flüsternd.
    »Er zitiert das Buch der Offenbarung, fünftes Kapitel«, erwiderte Sheerin. Dann fügte er eindringlich hinzu: »Seien Sie still, hören Sie zu, sage ich Ihnen.«
    Die Stimme des Kultisten schwoll immer mehr an, und mit wachsender Inbrunst betete er: »Und es geschah, daß in diesen Tagen die Sonne Beta allein am Himmel Wache hielt, für immer längere Fristen bei jeder Umdrehung. Endlich schien sie so lange, wie eine halbe Umdrehung währte, fahl und kalt auf Lagash.
    Und die Menschen versammelten sich auf den öffentlichen Plätzen, um zu staunen und zu beraten, denn eine seltsame Niedergeschlagenheit hatte sich ihrer bemächtigt. Ihr Geist war unruhig und ihre Rede wirr, denn die Seelen der Menschen erwarteten die Ankunft der Sterne.
    Und in der Stadt Trigon trat um die Mittagsstunde Vendret 2 vor die Menschen hin und sprach: ›Hört, ihr Sünder. Wenn ihr die Wege der Gerechtigkeit verachtet habt, so ist jetzt die Zeit der Abrechnung gekommen. Denn die Höhle nähert sich, um Lagash zu verschlingen‹.
    Und indem er sprach, beruhte der Mund der Höhle den Rand der Sonne Beta, so daß sie sich den Blicken von ganz Lagash entzog. Laut hallten die Schreie der Menschen, als Beta verschwand und groß war die Herzensangst, die über sie hereinbrach.
    Und es geschah, daß die Dunkelheit der Höhle ganz Lagash umhüllte, und nirgends gab es ein Licht. Die Menschen waren blind, und keiner konnte mehr seinen Nachbarn erblicken, obwohl er dessen Atem in seinem Gesicht verspürte.
    Und in der Schwärze erschienen die Sterne, ungezählt, und es erklang Musik von solcher Schönheit, daß die Blätter der Bäume vor Bewunderung aufschrien.
    Und in diesem selben Augenblick verließen die Seelen die Menschen, und die verlassenen Körper wurden zu reißenden Bestien, die mit wildem Geschrei durch die schwarzen Straßen von Lagash streiften.
    Und dann fuhr von den Sternen die Himmlische Flamme herab, und wo sie den Boden berührte, verbrannten die Städte von Lagash, so daß nichts von den Menschen und ihren Werken übrig blieb.
    Und dann …«
    Jetzt änderte sich Latimers Tonfall. Zwar hatte er den Blick nicht gehoben, aber irgendwie war er sich der gebannten Aufmerksamkeit seiner beiden Zuhörer bewußt geworden. Leichthin, ohne Atempausen sprach er weiter, und immer fließender kamen die Silben über seine Lippen.
    Der überraschte Theremon wandte kein Auge von ihm. Die Worte begannen vertraut zu klingen, eine kaum merkliche Verschiebung der Akzente, eine winzige Veränderung in der Betonung der Vokale, nicht mehr. Und trotzdem war Latimer völlig unverständlich geworden.
    Sheerin lächelte schlau.
    »Er hat zur Sprache aus einem anderen Zyklus Zuflucht genommen. Das ist wahrscheinlich die Sprache aus ihrem traditionsreichen zweiten Zyklus. Wie Sie wissen, ist das die Sprache, in der das Buch der Offenbarung ursprünglich geschrieben worden war.«
    »Das macht nichts. Ich habe genug gehört.« Theremon schob seinen Stuhl zurück, und seine Hände, die das Haar aus seiner Stirn strichen, zitterten nicht mehr. »Ich fühle mich jetzt besser.«
    »Wirklich?« Sheerin schien überrascht.
    »Ja. Vorhin war ich ziemlich nervös. Zuerst Ihre Geschichte, und dann hat mir der Einbruch der Dunkelheit fast den Rest gegeben. Aber das …« Er wies mit dem Daumen geringschätzig auf den blonden Kultisten. »… diese Art von Märchen hat mir mein Kindermädchen erzählt. Über diesen Unsinn habe ich mein ganzes Leben lang gelacht. Und ich werde mich auch jetzt nicht davon erschrecken lassen.«
    Erholte tief Luft und sagte mit hektischer Heiterkeit: »Aber wenn ich in dieser guten Verfassung bleiben will, muß ich meinen Stuhl vom Fenster wegrücken.«
    »Tun Sie das«, sagte Sheerin, »aber sprechen Sie etwas leiser. Aton hat gerade seinen Kopf aus der Box gesteckt, in die er sich da vergräbt, und hat Sie

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