Und Freunde werden wir doch
was er alles erlebt hat. Und Marie freut sich, daß es Felipe so gut gefallen hat; sie fordert ihn auf, Sandra wieder mal mitzubringen.
In diesem Augenblick betritt Ronni die Küche. Er sieht erst Felipe, dann seine Mutter an, sagt aber kein Wort. Dafür sagt Felipe etwas, laut und unmißverständlich: »Wenn, dann müßte Ronni Sandra einladen.«
Er schaut fast lauernd zu seinem größeren Bruder hoch, aber Ronni überhört die Aufforderung, wäscht sich die Hände und wechselt unvermittelt das Thema: »Soll ich Reis aufsetzen?«
»Si, Ronni, si.« Marie nickt. Sie ist froh, daß sie in Ronni eine Hilfe hat. Dann kann sie jetzt aufräumen, ihr Mann will abends in der Wohnung Ordnung vorfinden. Während Ronni den Topf mit Wasser füllt, zieht sich Felipe die Socken aus. Sand rieselt auf den Boden. Felipe nimmt Schaufel und Besen und fegt ein stattliches kleines Häufchen zusammen. Aber alle Körnchen hat er nicht erwischt. Als Ronni zum Tisch geht, knirscht es gewaltig. Ronni sieht Felipe vorwurfsvoll an. Mit ungewohnter Strenge in der Stimme fährt er ihn an: »Kannst du nicht aufpassen? Nächstes Mal läßt du Sand in die Kiste und schleppst ihn nicht hierher!«
»In der Kiste«, verbessert Felipe gelassen. Er fegt noch einmal um den Stuhl herum und fragt dann seine Mutter: »Wann kommt Patricio?«
Doch der - groß und kräftig - steht schon in der Tür und gibt selbst die Antwort: »Ich bin schon da.«
Felipe wirft sich ungestüm seinem Bruder an die Brust und strahlt bis zu den Ohren, als Patricio ihn hochstemmt. Aber Patricio ist müde. Er läßt erst Felipe und dann seine alte Mappe auf den Boden plumpsen, um seine Mutter und Ronni zu begrüßen. Währenddessen läuft Felipe in Patricios Zimmer, holt die Hausschuhe und stellt ihm auch ein Glas Wasser auf den Tisch.
Patricio zieht den Arbeitspullover aus, knöpft das Hemd auf und schiebt die Ärmel hoch. Er läßt Wasser über Arme und Gesicht laufen. Noch mit nassem Gesicht und tropfenden Händen geht er zum Küchenschrank und sieht nach der Post.
Ronni bestätigt ihm, was Patricio gerade selbst sieht: »Una carta del abuelo y de la tia Rosalia!« Ronni nimmt die beiden Briefe vom Schrank und legt sie auf den Tisch. Er wiederholt es: »Von Opa und Tante Rosalia!«
Ein Brief von Opa ist immer etwas Besonderes, ein Ereignis, das durchaus nicht nach einmaligem Durchlesen beendet ist. Es ist zur Gewohnheit geworden, daß Patricio die Briefe vorliest, wieder und wieder vorliest, auch wenn alle sie schon auswendig können.
Aber erst möchte Patricio sich etwas ausruhen. Außerdem findet er, daß Ronni in letzter Zeit noch dünner und unzufriedener wirkt als sonst. Ganz unverfänglich - wie Patricio meint - lenkt er das Gespräch auf die Schule. Er bietet Ronni an, die Mathehausaufgaben nachzusehen. In Mathematik ist Ronni gut, und beide, Ronni und Patricio, haben Spaß daran, knifflige Probleme zu lösen. Aber Ronni wehrt ab. Die Matheaufgaben sind uninteressant, zu einfach.
»Okay, dann spielen wir Halma.« Felipe läuft aus der Küche, um das Spiel zu holen, bevor ihm jemand widersprechen kann. Aber die Brüder haben, wie meistens, keine Lust auf Halma und rufen ihm hinterher: »Felipe, bleib!«
»Wir spielen nicht Halma!«
Felipe macht kehrt und läßt sich auf Patricios Schoß fallen. Patricio streicht seinem jüngsten Bruder freundschaftlich über das Haar und fragt nun ihn: »Na, wie war’s?«
»Schön war’s. Wir haben heute ein Diktat geschrieben. Ich bin bestimmt wieder bei den Besten.«
Patricio lacht. »Das kann man von deinem Spanisch aber nicht sagen. Los, hablemos espanol!«
Felipe tut gelangweilt: »Spanisch, Spanisch, was brauche ich Spanisch?«
»Wenn wir nach Chile zurückgehen, keiner glaubt, daß du in Valparaíso geboren bist!«
»Ich geh aber nicht nach Chile zurück!« entgegnet Felipe trotzig.
»Doch, alle Chilenen wollen wieder nach Hause! Keiner ist für immer gekommen.«
Nun mischt sich Marie ein: »Patricio, lies!« Sie stellt eine Schüssel mit Bohnen auf den Tisch, setzt sich und beginnt das Gemüse zu putzen. Felipe rutscht von Patricios Schoß auf den weißen Küchenstuhl neben Mama. Patricio nimmt die beiden Briefe zur Hand, betrachtet die Vorderseite, dreht sie dann um und räuspert sich mehrmals. Ronni, der Stillste von allen, rückt seinen Stuhl näher ein den Tisch heran, um ja keine Silbe zu verpassen. Am liebsten würde er in Opas Briefe hineintauchen.
Ronni kennt dieses zehrende Heimweh, von dem Patricio
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