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Und Freunde werden wir doch

Und Freunde werden wir doch

Titel: Und Freunde werden wir doch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Jörg
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Versteckenspielen gehabt. Nur das Gebell von Antonios Kläffer durchdrang den weißen Schleier. Jetzt haben sich die Schwaden gehoben, sind davongezogen, aber die Sonne hat sich nur kurz gezeigt, hat Streifen von Licht durch die Wolken geschickt und das grüne Weideland beleuchtet.
    Eimerweise schüttet der Himmel das Wasser herunter, kaum habe ich das Dach notdürftig repariert, tropft es an einer anderen Stelle wieder durch. Immerhin kann ich mir den Gang zum Brunnen sparen. Ob die Kordilleren noch stehen? Ich habe schon seit fünf Tagen den Aconcagua nicht mehr gesehen !...

    Auf Opas Brief fallen heute abend keine Tränen. Bevor Patricio zu Ende gelesen hat, kommt Salvador Ramirez von der Arbeit zurück. Mit leicht zitternden Händen und Schweißperlen auf der Stirn steht er in der Tür. Unter seinen Augen haben sich Falten eingegraben, die Wangen wirken fahl. Salvador begrüßt die Familie mit einem vernuschelten »Buenas tardes«. Er sieht in die Gesichter seiner Kinder, in die großen schwarzen Augen seiner Frau und scheint einen Augenblick lang zu zögern, ob er sich zu der Runde, die da am Tisch versammelt ist, setzen soll. Doch er überlegt es sich anders, nimmt die Zeitung vom Bord, eine Bierflasche aus dem Träger und zieht sich ins Wohnzimmer zurück. Vom Flur aus ruft er seiner Frau zu: »Cuándo viene la comida?«
    Die Frage nach dem Abendbrot wirkt wie eine kategorische Aufforderung. Marie steht sofort auf und geht zum Herd. Ronni holt schnell Teller und Besteck aus dem Küchenschrank, während Patricio Opas Brief wieder zusammenfaltet.
    Wenige Minuten später steht das Essen dampfend auf dem Tisch. Salvador hat schon zwei Flaschen Bier getrunken und die dritte geöffnet. Langsam entspannen sich seine Züge. Er wendet sich Felipe und Ronni zu. Den Blicken seines ältesten Sohnes weicht er aus, er kennt Patricios Kritik: Für Rauchen und Trinken haben wir kein Geld.
    Und genau das ist es, was Patricio jetzt denkt. Er hat in Chile zwei Jahre lang den Vater vertreten, der Mutter beistehen müssen. Er fühlt sich wie ein väterlicher Freund seiner Geschwister, er berät seine Mutter, wenn sie sich irgendwo nicht auskennt. Jetzt ist er nicht mehr bereit, sich irgend etwas gefallen zu lassen. Patricio findet es abstoßend, daß sein Vater sich so gehenläßt, daß er ihn abends aus Kneipen herauszerren und zur Sparsamkeit ermahnen muß. Sobald Salvador die Wohnung betritt, zieht sich Patricio in sich selbst zurück, wird schweigsam und unzugänglich.
    Während Felipe dem Vater unbefangen begegnet, hat Ronni die schwierigste Rolle: er schauspielert. Er tut so, als sei alles in Ordnung, er redet und erzählt und läßt doch kein einziges Wort aus seinem Innern nach außen dringen. Der Vater ist ihm fremd geblieben. Seit vier Jahren, seit sie alle wieder zusammen sind, fühlt er sich in der Gegenwart des Vaters unbehaglich. Fast linkisch benimmt er sich, wenn er ihm helfen soll oder mit ihm zusammen einkaufen geht. Einige Male hat er einen Versuch gemacht, den Vater etwas zu fragen, aber schon bevor sich die Worte in seinem Munde formten, hat er es wieder aufgegeben.
    Jetzt erzählt Ronni von einem neuen Computermodell, er hat es in einem Geschäft gesehen und möchte es unbedingt einmal ausprobieren. Felipe beobachtet seinen Bruder: Wann und wo der wohl in einem Computerladen war? Anstatt jedoch danach zu fragen, platzt Felipe plötzlich heraus: »Und ich war heute bei Sandra, das ist eine aus Ronnis Klasse.«

8

    Frau Gütlein nimmt ihre Brille ab und geht den Stapel Karteikarten noch einmal durch. Sie sucht ein bestimmtes Buch von Blasco Ibáñez und kann es nicht finden, sowohl Buch als auch Karteikarte sind verschwunden. Wenn entweder Buch oder Karteikarte nicht auffindbar wären, nun gut, das kommt vor, aber gleich beides? Frau Gütlein fährt sich nervös durch die Haare. Sie zieht die Schubladen ihres Schreibtischs auf, schiebt sie wieder zu, sie durchforstet das Regal mit den Bibliotheksordnern, geht die Zettelchen durch, die mit Tesafilm an die Wand geklebt sind, und endlich wird sie von ihrer hilflosen Sucherei erlöst, wenigstens vorübergehend.
    Vor Frau Gütlein steht nämlich Sandra, sie hat eine Frage: »Ich möchte Spanisch lernen, haben Sie dafür was da?«
    Frau Gütlein setzt ihre Brille wieder auf, sieht Sandra an:
    »Aber natürlich, Sandra, weißt du nicht, daß wir hier auf Lateinamerika spezialisiert sind? Mit Ausnahme von Brasilien alles spanischsprechende Länder. Ach wunderbar,

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