Und Freunde werden wir doch
acht zu sprechen, hieß es. Es ist halb acht, und jetzt, sofort, sagen Sie mir, wo dieser Junge wohnt!«
Herr Rahm ist so laut, daß Dr. Melchior den Hörer am ausgestreckten Arm vom Ohr weghält, er fürchtet, sein Trommelfell könnte sonst platzen.
»Herr Rahm, wenn Sie mich so anschreien, verstehe ich überhaupt kein Wort. Ich laß mich nicht gerne anbrüllen. Ich schlage vor, ich rufe Sie zurück. Sie können sich darauf verlassen. Auf Wiedersehen!«
Wutschnaubend knallt Herr Rahm den Hörer hin. So früh war er noch nie im Geschäft - alles umsonst. Schimpfend schließt er die Ladentür auf und sieht sich die Bescherung noch einmal von außen an. Das ganze Schaufenster muß er ausräumen, heute soll der Glaser kommen.
Nervös geht er vor seinem Laden auf und ab und führt Selbstgespräche: »Das kostet mindestens zwölfhundert Mark, wenn nicht mehr. Das garantiere ich.« Er rauft sich die Haare.
»Wer muß das denn bezahlen?« Ein Mädchen steht vor ihm, die Schulmappe unter dem Arm, und fragt ganz harmlos. Herr Rahm sieht sie an, dann sieht er seine Scheibe an, dann sieht er wieder sie an. Schließlich poltert er los: »Na, die Eltern von dem Kerl, der da reingefallen ist. Wer denn sonst?«
»Hmm«, lautet Sandras Antwort. Sie macht, daß sie weiterkommt. Trotz der frühen Stunde rappelt es in ihrem Kopf gewaltig. Ronnis Eltern müssen den Schaden zahlen. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht, daß es hier auch eine Rechnung zu begleichen geben würde. Auweia, ob die so viel Geld überhaupt aufbringen können?
Aber mit den Schwierigkeiten wächst Sandras Einfallsreichtum. »Ich werde das Geld zusammensammeln.« Sie sagt es laut und deutlich und mit einer Festigkeit, die überzeugend wirkt, sogar auf sie selbst. Schon beginnt sie zu rechnen: »Hundert Mark kann ich von meinem Sparbuch abheben, vielleicht tut Hanna das auch. Das sind dann nur noch tausend Mark... doch noch eine ganz schöne Summe. Die Lehrer und Eltern müssen unbedingt spenden. Wer denn noch?«
Kaum hat Sandra die Klasse betreten, da beginnt sie mit ihrer Aktion. Sie holt ein Blatt Papier aus der Tasche und formuliert den Text:
Ronni Ramirez hatte einen Unfall. Unverschuldet hat er eine Schaufensterscheibe zerbrochen ...
Der zweite Satz gefällt ihr nicht. Sie setzt noch einmal an:
Ronni Ramirez liegt im Krankenhaus. Er hatte einen Unfall. Bei diesem Unfall zerbrach eine Schaufensterscheibe. Die muß nun ersetzt werden. Da seine Eltern wenig Geld haben, bitten wir um eure Hilfe und Spende.
Sandra überfliegt den Text noch einmal. Ja, so müßte es gehen. Endlich kommt Hanna. Sandra schiebt ihr das Blatt rüber: »Was meinst du?«
Hanna ist beeindruckt: »Finde ich gut. Darunter muß nur noch >Name< und >Spende<. Dann kann jeder ablesen, was der andere gegeben hat. Das steigert die Spendenbereitschaft!«
»Gute Idee!« Sandra reißt ein neues Blatt aus ihrem Aufsatzheft. Frau Wimmer betritt die Klasse.
»Wo waren wir letztes Mal stehengeblieben?« Die Lehrerin streift mit ihrem Blick jeden Schüler. Daß Sandra aus dem Heft Seiten herausgerissen hat, ist ihr auch nicht entgangen.
»Bei Faust!« Henning versucht mal wieder, witzig zu sein.
»Quatsch, halte deinen Mund, Henning.« Frau Wimmer nimmt Philipp dran.
»Wir haben letztes Mal ein Gedicht von Oskar Loerke besprochen.« Brav betet Philipp die Antwort herunter. Er weiß genau wie alle anderen, daß Frau Wimmer immer nach dem Stoff der letzten Stunde fragt. Sie unterrichtet drei Klassen in Deutsch, und meist vergißt sie, was sie wo durchgenommen hat.
»Buch, Seite neunzig!« Mit diesem knappen Kommentar löst die Lehrerin ein geschäftiges Suchen und Blättern aus. Auch Sandra schlägt ihr Buch auf, aber sie schreibt schnell noch den endgültigen Spendentext auf das neue Blatt.
»Sandra, her mit dem Papier!« Frau Wimmer hat ihren Arm schon ausgestreckt, und Sandra bleibt nichts anderes übrig, als ihr das Blatt zu geben.
»Was soll das?« will Frau Wimmer wissen. Statt eines demütigen »Nichts« oder »Ich weiß nicht« bekommt Frau Wimmer eine klare Antwort von Sandra: »Ronni hatte einen schlimmen Unfall. Ich möchte für die Scheibe sammeln, die dabei kaputtgegangen ist.«
»Das kannst du in der Pause machen, jetzt ist Unterricht.« Frau Wimmer ist ungehalten. Aber Sandra überrascht alle mit ihrer Beharrlichkeit. So einfach läßt sie sich nicht abwimmeln: »Aber jetzt kann ich es gleich allen sagen. Vielleicht möchten Sie ja auch etwas geben.« Sie sieht der
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