Und Freunde werden wir doch
Lehrerin ins Gesicht.
»Das kommt mir etwas zu plötzlich.« Mit einer senkrechten Falte auf der Stirn signalisiert Frau Wimmer, daß sie nun nicht mehr gesprächsbereit ist. Immerhin sagt sie noch: »Komm in der Pause zu mir.« Wenigstens etwas, denkt Sandra, aber andererseits kein Wort über Ronni, keine Frage, kein Interesse. Schwach ist das von der! Sandra versucht sich auf den Text zu konzentrieren, da flüstert Hanna ihr zu: »Mensch, du wirst immer besser, gratuliere!«
»Na ja.« Mehr antwortet Sandra nicht. Sie beteiligt sich heute rege am Unterricht, sie meldet sich und hat alle Antworten parat - niemand soll ihr nachsagen, sie träume oder sei nicht bei der Sache.
Doch kaum ertönt das Pausenzeichen, da ist Sandra schon unterwegs zum Pult. »Darf ich den Zettel wiederhaben?«
Frau Wimmer reicht ihn ihr wortlos.
»Wollen Sie auch was geben?«
»Ich habe jetzt nichts dabei. Vielleicht nächstes Mal.« Fürs erste gibt sich Sandra geschlagen, aber wirklich nur fürs erste.
In der Pause ist sie umringt von sämtlichen Schulkameraden. Sie wollen in allen Einzelheiten wissen, was Ronni passiert ist. Aber Sandra kennt die Einzelheiten ja selbst nicht. Sie erzählt immer wieder: »Er ist in ein Schaufenster gefallen. Vielleicht ist er ohnmächtig geworden oder so. Dabei hat er sich die Pulsadern aufgeschnitten und unheimlich viel Blut verloren. Jetzt liegt er im Krankenhaus. Und der Radiohändler braucht das Geld für eine neue Scheibe.«
Uschi läßt schon wieder einen ihrer berühmten Giftpfeile los: »Bist hier wohl die Oberschwester?« Aber heute lacht niemand, sogar Sandra überhört die Frage souverän. Sie ist überrascht, wie viele aus der Klasse sich interessieren, wie es Ronni geht. Vielleicht ist es bei manchen nur Neugierde, aber immerhin wollen die meisten was von ihrem Taschengeld opfern. Von den Lehrern bekommt Sandra an diesem Vormittag noch hundertzwanzig Mark, einerseits ganz schön viel, andererseits wiederum sehr wenig. Nach einer Lagebesprechung mit Hanna ist klar, daß der Kreis der Spender erweitert werden muß. Während die beiden sich alles mögliche und auch viel Unmögliches einfallen lassen, um zu Geld zu kommen, sitzt Ronni im Bett und überlegt angestrengt: War Sandra gestern hier, oder habe ich nur phantasiert?
17
Sandra nimmt drei Stufen auf einmal. Am U-Bahnhof Goethestraße verläßt sie den Untergrund und kehrt zurück ins helle Sonnenlicht. »Kommst du wieder?« Das hat Ronni wirklich gesagt. So eine Frage! Sandra läuft die Goethestraße entlang, die Bücher in der Plastiktüte schaukeln hin und her. Plötzlich erscheint ihr alles einfach und leicht. Die ganze Welt könnte sie umarmen. Bevor sie das Krankenzimmer betritt, verschnauft sie erst einmal. Das Herz schlägt ihr bis zum Hals, nicht nur, weil sie so gerannt ist. Sie drückt die Türklinke herunter: Da sitzt er im Bett und strahlt sie an.
»Ronni, du siehst ja schon viel besser aus!« Sandra ist heilfroh, daß er nicht mehr so jämmerlich wie gestern daliegt.
»Mir geht’s auch besser, viel besser!« Unbefangen redet Ronni drauflos. Sandra staunt nur so: Ist das der Ronni, der so abweisend und still war? Keine Spur mehr davon. »Hol dir doch einen Stuhl!« Ronni weist mit seinem verbundenen Arm auf einen Hocker am Waschbecken. Einer der Männer zeigt auf den gepolsterten Sessel, der neben seinem Bett steht: »Hier, Madl, kannst auch den nehmen.«
Sandra bedankt sich, holt aber doch den Hocker. Und da kommt die Unsicherheit noch einmal zurück. Sie hier an Ronnis Krankenhausbett, ein merkwürdiges Gefühl. Doch Ronni läßt keine peinliche Pause aufkommen: »Mensch, ich werde verwöhnt! Zum Mittagessen habe ich drei Nachspeisen bekommen, und Herr Mühlbach -«, Ronni deutet zu seinem Bettnachbarn hinüber, »- hat mir noch Schokolade und Kekse gegeben. Willst du auch was?«
»Nein, danke.« Sandra ist nicht nach Essen zumute. Sie sieht an dem Tropf hoch: »Was ist denn da drin?«
»Och, irgendwelches Zeug, das macht unheimlich kräftig.« Ronni lacht.
»Wie ist das eigentlich passiert mit der Scheibe?«
»Ich habe halt mal richtig zugeschlagen.«
Sandra sieht Ronni an und lacht gezwungen. Das glaubt sie ihm nicht. »Und wirklich?«
»Na ja.« Ronni lehnt sich zurück und wirkt mit einemmal wieder ganz alt, so wie gestern. Mit gedämpfter Stimme spricht er weiter:
»Das stimmt wirklich. Ich weiß auch nicht, warum ich es getan habe. Ich weiß es nicht. Mit voller Wucht habe ich da in die Scheibe
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