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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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gegenüberstehen, ihn berühren, vielleicht sogar umarmen, auf alle Fälle aber mit ihm sprechen zu können. Er war zurück, und heute Nachmittag würde Unterricht sein. Sie wandte sich ab. Es mochte gleich zu Mittag läuten und zum ersten Mal seit Tagen verspürte sie wirklichen Hunger. Oh ja, sie würde jetzt essen und sich auf den Unterricht freuen!
     
     
    Arno lehnte mit dem Rücken an der Tür zum Männerchor. Allmählich ging sein Herz wieder ruhiger, ohne dass er sich darauf konzentrieren musste. Sie hatte springen wollen. Sich hinunter in die Tiefe stürzen. Nur sein Ruf war es gewesen, der sie aufgehalten hatte. Er hatte sie gerufen und sie sich ihm sofort zugewandt, ihn angesehen. Mit ihren intensiven Augen, denen er noch nie hatte entkommen können. Entkommen war sie, dem Tod nämlich. Jetzt wollte sie weiterleben. Aber mit ihm. Während er ... nichts weiter für sie hatte als den Abschied. 
    Dazu war er noch nicht bereit gewesen. Nicht jetzt. Deshalb war er geflohen. Vorerst.
    Das änderte nichts, nichts daran, was er tun musste. Doch es war einfacher, wenn er es in der Reihenfolge tat, die er geplant hatte. Während der Essenszeit würde er sich waschen und umziehen. Und dann ins Redhaus.
    Tief Luft schöpfend, stieß er sich von der Tür ab und machte sich auf den Weg in seine Kammer.

Offenbarung im Redhaus
     
     
    „Pater Arno!“
    Gerade hatte er sich nach einigem Zögern auf seinem gewohnten Platz niedergelassen – immerhin wollte er ja erst einmal den Anschein erwecken, als wollte er ihn zurück – doch nun sprang er doch lieber wieder auf, um seiner ins Redhaus fegenden Äbtissin auf Augenhöhe gegenüberzutreten.
    „Wie schön, Euch wiederzusehen!“
    Konnte die Freude in ihrem Gesicht echt sein? Seine Mundwinkel höflich nach oben befördernd, nickte er ihr hoffentlich nicht sichtbar unschlüssig zu. Er hatte ihr herzlich wenig entgegenzusetzen, wenn sie nun das nachholen würde, was sie – damals zu überrumpelt – bei seinem Abschied versäumt hatte. Doch offensichtlich hatte sie vor, von einem Kreuzverhör abzusehen. Die Art, wie sie ihn musterte, war schon sehr aufmerksam – aber noch immer wohlwollend.
    „Ihr habt das Essen versäumt. Aber Ihr holt Euch, was Ihr braucht, gell? Und soll ich Euch heute noch von Euren Pflichten befreien, damit Ihr Euch in Ruhe wieder hier einfinden könnt? Bruder Sandizell hat den Unterricht übernommen, eine Auffrischung seines Lateins komme ihm gut zupass, meinte er. Kein Problem also, Euch auch heute Nachmittag vertreten zu lassen.“
    „Nein, nein, ich werde meine Aufgaben erfüllen“, versicherte Arno hastig, bereits unauffällig nach dem Ausgang schielend, um das Feld zu räumen, ehe sie doch noch unangenehm würde – als Elisabeth hereinstürmte.
    Ihn keines Blickes würdigend, wedelte sie mit einem Briefumschlag. „Ich habe Math...“ Da entdeckte sie Arno und erstarrte. „Äh ...“
    „Wartet!“ Die Örtlerin, sich windend.
    Hatte Elisabeth nicht verstanden? „Ich habe ihr Bescheid sagen lassen, dass sie nach Sexta hierher kommen solle“, murmelte sie hastig. „Immerhin wird es ihr danach sehr schlecht gehen.“
    „Wartet doch bitte einen Moment, Schwester Jordanin!“
    Wie verstohlen die Äbtissin dazu mit der Hand unter ihrem Skapulier wedelte, ließ Arno sofort zum Angriff übergehen.
    „Was ist das für ein Brief?“, fragte er scharf – die beiden hinter ihrem Klausurgitter ertappt zusammenschrecken lassend. „Ist es eine Nachricht von zu Hause?“ Einen Liebesbrief dieses Sebastians hätten sie ja wohl unterschlagen. „Geht es um ihren Vater? Ist er ...?“ Wieso sollte es ihr sonst 'sehr schlecht gehen'? Noch schlechter als jetzt?
    „Das geht Euch nichts an“, kam kalt von der Örtlerin, der offenbar erst im Augenblick danach einfiel, dass sie durchaus Möglichkeiten hatte, seinen Stand zu erschüttern. „Wie ich sehe, hat sich während Eurer Abwesenheit nichts daran geändert, dass Ihr noch immer“, sie lächelte spitz, „überreagiert, wenn es um Eure Schülerin geht.“
    Ihren durchbohrenden Blick jedoch war er mittlerweile gewöhnt. Er hatte nichts zu verlieren. Musste lediglich Mathilda aus allem heraushalten, damit sie nach seinem Ende weiterhin in Sicherheit wäre.
    „Sie hat sich mir in der Beichte anvertraut, und somit bin ich für sie verantwortlich!“, rechtfertigte er sich schnell. Um dann einen erneuten Vorstoß zu unternehmen. „Gebt mir den Brief!“, fuhr er direkt Elisabeth an – sie

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